Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Beanstandung eines Schiedsspruchs des Landesschiedsamtes durch das Bundesamt für Soziale Sicherung nach § 89 Abs 10 S 7 SGB 5. Beschränkung auf Rechtsaufsicht. Kompromisscharakter vertraglicher Vereinbarungen. Verbindlichkeit der vom Bewertungsausschuss aufgestellten Kriterien zur Vereinbarung von Zuschlägen. Zulässigkeit der Förderung von Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung. Zuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen nach § 87a Abs 2 S 3 SGB 5. Beurteilungsspielraum der Vertragsparteien

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aufsichtsmaßnahmen sind rechtswidrig, wenn sich das Handeln oder Unterlassen des Versicherungsträgers im Bereich des rechtlich noch Vertretbaren bewegt.

2. Ist Gegenstand der aufsichtsrechtlichen Maßnahme ein Vertrag zwischen Selbstverwaltungsträgern, hat die Aufsichtsbehörde zu berücksichtigen, dass vertragliche Vereinbarungen auf einen Interessenausgleich angelegt sind und Kompromisscharakter haben.

3. Die im Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 456. Sitzung aufgestellten Kriterien zur Vereinbarung von Zuschlägen für besonders förderungswürdige Leistungen nach § 87a Abs 2 S 3 SGB V sind für die Gesamtvertragspartner verbindlich.

4. Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung sind nicht von der Förderung durch einen Zuschlag auf den Punktwert ausgeschlossen.

5. Die Vereinbarung von Zuschlägen nach § 87a Abs 2 S 3 SGB V ist nicht beschränkt auf Planungsbezirke, bei denen ein lokaler Versorgungsbedarf besteht, die unterversorgt sind oder denen eine Unterversorgung droht.

6. Für die Entscheidung, ob und für welche Planungsbereiche Förderungen vereinbart werden, ist den Vertragspartnern der Gesamtverträge - und bei einer vertragssubstituierenden Entscheidung dem Schiedsamt - ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen.

 

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Soziale Sicherung vom 14.04.2020 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.

Der Streitwert wird endgültig auf 2,5 Mio. € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziale Sicherung (im Folgenden BAS), mit dem es den Schiedsspruch des Landesschiedsamtes über die Festsetzung des Vertragsinhaltes zur Vergütung der vertragsärztlichen Versorgung in B beanstandet.

Nach mehreren Verhandlungen auf Vorstands- und Fachebene stimmten die Gesamtvertragspartner am 17.10.2019 eine Vergütungsvereinbarung für das Jahr 2020 ab, die mit Ausnahme der I (im Folgenden Beigeladene zu 2) von allen Vertragspartnern unterzeichnet wurde. Die Beigeladene zu 2) stellte ihre Unterzeichnung unter den Vorbehalt einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vergütungsvereinbarung durch das Bundesversicherungsamt (seit 01.01.2020 BAS). Diese Vorabfrage ergab, dass die Vergütungsvereinbarung nach Einschätzung des BAS in drei Punkten nicht den Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) und dem Beschluss des Bewertungsausschusses (BewA) vom 22.10.2012 entsprach (Punktzahlerhöhung bei besonders förderungswürdigen Leistungen im Rahmen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung, Umgang mit nicht verbrauchten Restbeträgen aus dem zur Verfügung gestellten Förderungsbetrag, eingehende Begründung der besonders förderungswürdigen Leistungen entsprechend der Vorgaben des BewA). Die Beigeladene zu 2) brach daraufhin das Unterschriftsverfahren ab.

Mit Schreiben vom 08.11.2019 beantragte die Klägerin zu 2), die Kassenärztliche Vereinigung B (KVBW), beim Landesschiedsamt für die vertragsärztliche Versorgung B ein Schiedsamtsverfahren nach § 89 Abs. 3 SGB V. Die Klägerin zu 2) beantragte zunächst den ursprünglichen Vertragsentwurf festzusetzen. Dem schloss sich die Klägerin zu 1), die AOK B, an. Der Verband der Ersatzkassen (Beigeladene zu 1), der B1 (Klägerin zu 3), die Beigeladene zu 2), die S (Beigeladene zu 3) und die D (Beigeladene zu 4) beantragten die Vergütungsvereinbarung auf Basis der ursprünglichen Vergütungsvereinbarung unter Berücksichtigung der Kritikpunkte des BAS festzusetzen. Während des Verfahrens erging der Beschluss des BewA auf seiner 456. Sitzung mit Wirkung zum 01.10.2019, der Kriterien zur Vereinbarung der Zuschläge auf den Orientierungswert für besonders förderungswürdige Leistungen gemäß § 87a Abs. 2 Satz 3 SGB V enthält. Die Klägerinnen zu 1) und 2) legten daraufhin unter dem 11.12.2019 einen aktualisierten Vertragsentwurf vor.

Aufgrund mündlicher Verhandlung am 17.12.2019 setzte das Landesschiedsamt den von den Klägerinnen zu 1) und 2) vorgelegten Vertragsentwurf vom 11.12.2019 mit Änderungen fest. Zur Begründung gab das Landesschiedsamt an, bei zwei der drei vom BAS in dessen Schreiben vom 13.11.2019 beanstandeten Punkten der ursprünglichen Vergütungsvereinbarung hätten Antragsteller und Antragsgegner im Rahmen des Schiedsverfahrens eine Einigung erzielt. Dies betref...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge