Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Übertragung bzw Abtretung eines Rentennachzahlungsanspruchs. öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Privatpersonen. Schriftformerfordernis. entsprechende Anwendung des § 56 SGB 10. Unterschrift des Zedenten und Zessionars- keine Anwendbarkeit des § 409 Abs 1 S 2 BGB
Orientierungssatz
1. Bei der Übertragung bzw der Abtretung eines Rentennachzahlungsanspruchs eines Unfallversicherten an dessen Stieftochter handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gem § 53 Abs 1 SGB 10.
2. Zur entsprechenden Anwendung des Schriftformerfordernisses gem § 56 SGB 10 bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen Privatpersonen.
3. Die Nichtigkeitsfolge des § 125 S 1 BGB bei einem Mangel der gesetzlichen Form tritt unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rechtsausübung nicht ein, wenn die Nichtigkeitsfolge im Widerspruch zu dem Grundsatz von Treu und Glauben steht, der die gesamte Rechtsordnung beherrscht und in § 242 BGB ausdrücklich normiert ist. In Ausnahmefällen kann ein formnichtiger Vertrag gleichwohl als rechtswirksam angesehen werden, wenn die Nichtigkeitsfolge mit Treu und Glauben unvereinbar wäre. In diesem Sinne sind in der Rechtsprechung des BGH insbesondere zwei Fallgruppen anerkannt worden: die Fälle der Existenzgefährdung des einen Teils und die Fälle einer besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils.
4. Die Anwendung des § 409 Abs 1 S 2 BGB kommt bei Fehlen der Voraussetzungen des § 151 S 1 BGB nicht in Betracht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) werden zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Beklagte die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2).
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Klageverfahren S 2 KNU 642/07 und für das Berufungsverfahren L 4 U 3728/08 wird auf € 14.854,26 festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht den Nachzahlungsbetrag in Höhe von € 14.854,26, der sich auf Grund der Bewilligung von Verletztenrente an den 1922 geborenen und ... 2003 verstorbenen F S (im Folgenden Versicherter) ergab, an die Beigeladene zu 1) ausgezahlt hat.
Die Klägerin und die Beigeladene zu 2) sind die leiblichen Töchter und je zur Hälfte die gesetzliche Erbinnen des Versicherten (gemeinschaftlicher Erbschein des Amtsgerichts Gera vom 29. September 2003). Die Beigeladene zu 1) ist die Tochter der verstorbenen Ehefrau des Versicherten, nicht jedoch leibliche Tochter des Versicherten. Der Versicherte war von 1947 bis 1989, bis 1979 unter Tage, in einem Bergwerk der W AG beschäftigt. Mit Bescheid vom 3. März 1997 lehnte die Beklagte die Anerkennung von Berufskrankheiten nach den Nrn. 4101 und 4102 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ab. Der Versicherte bezog eine Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine Rente von der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft.
Internist Dr. L erstattete die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit vom 16. August 2001 wegen eines Bronchialkarzinoms. Auf ihm zugegangene Anfragen der Beklagten in dem von der Beklagten eingeleiteten Feststellungsverfahren teilte der Versicherte u. a. mit, er habe die Beigeladene zu 1) bevollmächtigt, ihn in dieser Angelegenheit zu vertreten (Schreiben vom 31. August 2001) oder gab an, für weitere kurzfristige Rückfragen sich an die Beigeladene zu 1) zu wenden (Schreiben vom 25. Oktober 2001). Mit Schreiben vom 1. November 2001 erläuterte die Beklagte der Beigeladenen zu 1) - nachdem sich deren Ehemann telefonisch mit der Beklagten in Verbindung gesetzt hatte -, weshalb eine Berufskrankheit nach Nr. 4101 der BKV nicht habe anerkannt werden können. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2001, den die Beklagte der Beigeladenen zu 1) als Bevollmächtigte des Versicherten übersandte, stellte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 2402 der BKV fest und bewilligte aufgrund eines Versicherungsfalls vom 16. Mai 2001 die Vollrente ab 17. Mai 2001. Dem Versicherten überwies die Beklagte nach Abzug eines Erstattungsbetrages in Höhe von € 1.781,41, den die Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft wegen der Kürzung der von ihr gewährten Rente geltend gemacht hatte, den Nachzahlungsbetrag in Höhe von € 4.100,92 (an die Beigeladene zu 1) gesandtes Schreiben der Beklagten vom 8. Februar 2002). Zur Prüfung, ob auch Hilflosigkeit anzunehmen ist, suchte ein Mitarbeiter der Beklagten am 8. Januar 2002 den Versicherten in seiner Wohnung auf. Im Bericht vom 8. Januar 2002 über diesen Hausbesuch, bei dem auch die Beigeladene zu 1) anwesend war, legte er dar, dass die "Tochter" (die Beigeladene zu 1)) den Versicherten hauswirtschaftlich versorge. Eine Fahrkostenübernahme wurde zugesagt. Auf spätere Anträge der Beigeladenen zu 1) zahlte die Beklagte ihr ...