Entscheidungsstichwort (Thema)
Festbeträge für Arzneimittel. vorläufiger Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel. 2. Bestätigung der Rechtsprechung des Senats zum vorläufigen Rechtsschutz gegen die Festsetzung von Festbeträgen im Anschluss an den Beschluss vom 17. Dezember 1999 - L 9 B 127/99 KR ER (betraf Festbetragsfestsetzung für Hilfsmittel) und zur entsprechenden Anwendung von § 32 BVerfGG im Rahmen von § 80 Abs 5 VwGO.
Gründe
Die Antragsgegner setzten mit Bescheid vom 23. Mai 2000 mit Wirkung vom 1. Juli 2000 für den Wirkstoff Amantadin in festen oralen Darreichungsformen (z.B. Kapseln, Tabletten, Filmtabletten) in Packungsgrößen von 100 Stück einen Festbetrag in Höhe von 51,90 DM fest und veröffentlichten diesen Festbetrag im Bundesanzeiger vom 27. Mai 2000.
Hiergegen hat die Antragstellerin, die das zur Behandlung von Parkinson-Syndromen bestimmte Fertigarzneimittel "tregor Tabletten" mit den Bestandteilen Amantadinsulfat, Lactose, Polyvidon, Talkum und Magnesiumstearaten herstellt und vertreibt, am 7. Juni 2000 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie die Aufhebung dieser Festbetragsfestsetzung begehrt. Zur Begründung der Klage macht sie geltend, dass die Festbetragsfestsetzung rechtswidrig sei, weil es den ihr zugrunde gelegten Wirkstoff Amantadin nicht gebe, sondern nur die unterschiedlichen Wirkstoffe Amantadinsulfat und Amantadinhydrochlorid, die ganz unterschiedlich pharmazeutisch-chemische Eigenschaften besäßen. Darüber hinaus verstoße die Festbetragsfestsetzung gegen Artikel 12 Grundgesetz (GG) und Artikel 81 ff EGV, weil sie sie zwinge, den Preis für 100 Tabletten "tregor" von 80,97 DM auf 51,90 DM herabzusetzen. Festbeträge wirkten jedoch wie Höchstpreise. Arzneimittel, die im Preis höher als der Festbetrag lägen, würden von den Ärzten nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung --GKV-- verordnet. Da 90 % der Bevölkerung Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse seien, bedeute der Ausschluss aus der Verordnung in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen eines höheren als des festgesetzten Preises den totalen Umsatzverlust des Präparates. Die Preissenkung von 36 % bei einem Jahresumsatz von "tregor" in Höhe von 1.616.000,-- DM bedeute einen Verlust von 582.000,-- DM. Dieser Verlust sei gleichbedeutend mit einer Reduzierung des Unternehmensgewinns in dieser Höhe. Einen solchen Verlust könne die Antragstellerin, die bereits im Geschäftsjahr 1999 einen Verlust erlitten habe, nicht ertragen. Der Umsatz- und Gewinnverlust führe zu einer Existenzgefährdung für ihr Unternehmen. Über diese Klage hat das Sozialgericht noch nicht entschieden.
Den Antrag der Antragstellerin, die sofortige Vollziehung der Festbetragsfestsetzung für den Wirkstoff Amantadin auszusetzen, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 29.Juni 2000 abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz --SGG-- zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat den sinngemäß auf eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23. Mai 2000 gerichteten Antrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Der Senat wendet im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen belastende Verwaltungsakte -- einen solchen stellt die Festbetragsfestsetzung für die Antragstellerin dar -- § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO-- entsprechend an, soweit § 97 SGG -- wie hier -- keine (spezielle) Regelung enthält. Der Klage gegen die Festbetragsfestsetzung kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt in solchen Fällen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO nur dann in Betracht, wenn das Interesse des von einem -- kraft Gesetzes oder aufgrund behördlicher Anordnung -- sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes Betroffenen an dem Aufschub der Maßnahme das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist; denn an der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Maßnahmen besteht kein öffentliches Interesse.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Ob die Festbetragsfestsetzung bereits deswegen rechtswidrig ist, weil sie auf einer einheitlichen Preisbildung für Amantadinhydrochlorid und Amantadinsulfat beruht, kann ohne weitere medizinisch-pharmakologische Ermittlungen, die gegebenenfalls die Einholung entsprechender Sachverständigengutachten einschließen, nicht geklärt werden. Denn § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch --SGB V-- lässt auch die Festsetzung von Festbeträgen für Gruppen von Arzneimitteln mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen zu, so dass die Festsetzung eines gemeinsamen Festbetrages für verschiedene Amantadinverbindungen nicht schlechth...