Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. nicht ausreichende Zweifel an der Hilfebedürftigkeit. Verkauf privater Gebrauchsgegenstände in einem Internet-Auktionshaus. Vorlage von Unterlagen und Nachweisen für die Hilfebedürftigkeit

 

Orientierungssatz

1. Ist es zudem fraglich, ob Erlöse aus dem Verkauf privater Gebrauchsgegenstände überhaupt als Einkommen anzurechnen sind, so kann die Veräußerung privater Gebrauchsgegenstände in einem Internet-Auktionshaus allein keine ausreichenden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit begründen. Sogar der Betrieb eines "Gewerbes" schließt Hilfebedürftigkeit nicht aus, wenn die dadurch erzielten Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreichen, sondern mindert sie lediglich.

2. Zur grob verfahrensfehlerhaften längeren Nichtentscheidung des Grundsicherungsträgers über einen Leistungsantrag und zu nicht gerechtfertigten bzw überzogenen Anforderungen an den Nachweis der Hilfebedürftigkeit bzw die Vorlage von Unterlagen (Kraftfahrzeugbrief, Gewerbeanmeldung für Privatverkauf, Mietquittungen trotz Nichtzahlung der Miete).

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2005 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig

an den Antragsteller zu 1) sowie an die Antragstellerin zu 2) jeweils 3.915 (dreitausendneunhundertfünfzehn) € und ab März 2006 bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2006 monatlich jeweils 435 (vierhundertfünfunddreißig) € und

an den Antragsteller zu 3) 2.412 (zweitausendvierhundertzwölf) € und ab März 2006 bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2006 monatlich 268 €

zu zahlen.

Der Antragsgegnerin wird nachgelassen, diese Zahlungsverpflichtungen in Höhe von jeweils 1.935 (eintausendneunhundertfünfunddreißig) € (insgesamt 5.805 €) und ab März 2006 in Höhe von monatlich jeweils 215 (zweihundertfünfzehn) € (insgesamt monatlich 645 €) durch Zahlung an den Vermieter (K. L. GmbH, Konto Nr. ... bei der B. Sparkasse [BLZ …]) zu erfüllen.

Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die ihnen entstandenen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller haben mit einer für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausreichenden Gewissheit glaubhaft gemacht (§ 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), dass sie - was zwischen den Beteiligten zu Recht allein streitig ist - (auch) hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB III)) sind. Für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist es - anders als die Antragsgegnerin anzunehmen scheint (Schriftsatz vom 15. November 2005) - nicht erforderlich, dass diese Voraussetzung (im Sinne einer allen vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietenden Gewissheit) “nachgewiesen" wird. Im Übrigen dürfen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Eilverfahren nicht überspannt werden, wenn die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des durch die Verfassung gewährleisteten Existenzminimums in Frage steht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -).

Der Annahme, dass die Antragsteller jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Antragstellung hilfebedürftig waren und es weiterhin sind, steht die erschwindelte Aufnahme eine Darlehens im Juli 2004 nicht entgegen, zumal das dadurch erlangte Geld, soweit es nicht inzwischen zurückgezahlt worden ist, zumindest jetzt offenbar nicht mehr vorhanden ist.

Ebenso wenig ergeben sich durchgreifende Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller daraus, dass der Antragsteller zu 1) jedenfalls zu Beginn des Jahres 2005 und womöglich auch im Oktober 2005 Gegenstände über ein Internet-Auktionshaus veräußert hat. Aus den ihm dafür in Rechnung gestellten Gebühren hat die Antragsgegnerin vollkommen verfehlte Rückschlüsse auf die dadurch erzielten Erlöse gezogen; sie hat schlichtweg nicht gesehen, dass nur ein geringer Teil dieser Gebühren Provisionen für getätigte Verkäufe sind. Ohne Belang ist auch, ob diese Tätigkeit des Antragstellers zu 1) als “gewerblich" anzusehen ist oder nicht. Der Betrieb eines “Gewerbes" schließt Hilfebedürftigkeit nicht aus, wenn die dadurch erzielten Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreichen (§ 9 Abs. 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II)), sondern mindert sie lediglich. Fraglich ist zudem, ob Erlöse aus dem Verkauf privater Gebrauchsgegenstände (hier bspw. Notebook) als Einkommen anzurechnen sind.

Die Zahlungseingänge auf dem Konto der Antragsteller zu 1) und 2), für das sie die Auszüge bis zum 27. Juni 2005 bereits am 30. Juni 2005 dem Sozialgericht im Original vorgelegt haben, deuten gleichfalls nicht darauf hin, dass die Antragsteller laufende Einnahmen hätten, die ihre Hilfebedürftigkeit ausschließen würden. Ebenso wenig besteht ein Anhalt, dass...

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