Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Freigänger. kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2
Orientierungssatz
1. Soweit ein Freigänger nicht zum Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt verpflichtet ist, hat auch er das (Grund-)Recht, sein Leben in Freiheit zu verbringen und muss sich nicht darauf verweisen lassen, sich "freiwillig" in Haft zu begeben. Dies schließt das Recht ein, eine Wohnung zu besitzen, um sich dort aufzuhalten.
2. Letztlich beruht der durch § 7 Abs 4 Alt 1 SGB 2 angeordnete Leistungsausschluss auf der Fiktion, dass die für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebrachten Personen nicht erwerbsfähig sind. Diese Fiktion kann aber für Freigänger keine Geltung beanspruchen, denn diese sind regelmäßig nicht nur erwerbsfähig, sondern auch tatsächlich erwerbstätig.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird als unzulässig verworfen, soweit sie Zeiträume vor Erlass dieser Entscheidung betrifft. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die ihr entstandenen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und die Rechtsanwältin D B beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, soweit sie zurückliegende Zeiträume betrifft (§ 572 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO] i.V.m. § 202 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]); insoweit fehlt das erforderliche Rechtsschutzinteresse der Antragsgegnerin.
Diese ist - wenn auch nur unvollkommen, denn sie hat entgegen der Anordnung des Sozialgerichts, der Antragstellerin monatlich vorläufig 340 € zu zahlen, nur 324,30 € monatlich erbracht - der Anordnung des Sozialgerichts nachgekommen. Damit hat sich diese (einstweilige) Anordnung insoweit erledigt. Die Antragsgegnerin hat kein schützenswertes Interesse an ihrer Aufhebung. Ihr geht es lediglich darum, den ausgezahlten Betrag zurückzuerhalten und festgestellt zu wissen, dass sie - endgültig - nicht zur Gewährung dieser - teilweise ohnehin nur als Darlehen gewährten - Leistung verpflichtet ist. Dafür steht das gerichtliche Eilverfahren nicht zur Verfügung. Eine einstweilige Anordnung ist stets nur ein Rechtsgrund für das vorläufige Behaltendürfen einer daraufhin erbrachten Leistung. Ob dem von der einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig zusteht, ist gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu klären (so bereits Beschluss des Senats vom 4. November 2005 - L 14 B 1147/05 AS ER - im Anschluss an den Beschluss des Thüringischen OVG vom 17. Juli 1997 - 2 ZEO 356/97 -, FEVS 48 [1998], 129 [130]; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - L 10 B 1144/05 AS ER -; vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 15. September 1997 - 2 SN 11/97 -, NVwZ 1998, 85).
Im Übrigen - soweit in der Zukunft liegende Zeiträume betroffen sind - ist die Beschwerde unbegründet. Der Antragstellerin sind jedenfalls vorläufig weiterhin Leistungen in der vom Sozialgericht angeordneten Höhe zu erbringen.
Die Antragstellerin hat das 15., jedoch noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet, ist erwerbsfähig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB II]). Sie ist auch hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II), da sie ihren Lebensunterhalt und ihre Eingliederung in Arbeit nicht ausreichend mit eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Arbeitseinkommen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere nicht von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).
Nach den im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Lohnabrechnungen für die Monate Juli bis November 2005 hat sie in diesen fünf Monaten insgesamt ein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung (nach Abzug der Beitragsanteile zur Sozialversicherung; Steuern wurden nicht entrichtet) in Höhe von insgesamt 2.491,73 € (netto) erzielt. Es ist danach zu erwarten, dass sie auch in den nächsten Monaten ein durchschnittliches Einkommen von ungefähr 500 € (netto) monatlich erzielen wird. Davon sind die Ausgaben für eine Monatskarte in Höhe von 67 € monatlich (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II) sowie ein Freibetrag nach § 30 SGB II (§ 11 Abs. 2 Nr. 6 SGB II) in Höhe von 90 € abzusetzen. Danach verbleibt ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von ungefähr 343 € monatlich. Mit diesen, die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II unterschreitenden Mitteln kann die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt nicht sichern, insbesondere davon nicht neben dem Haftkostenbeitrag (§ 50 des Strafvollzugsgesetzes [StVollzG]) und den Aufwendungen für Ernährung, Körperpflege und die übrigen in § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II genannten Bedarfe die Kosten für Unterkunft und Heizung tragen.
Der Antragstellerin entstehen auch Kosten für Unterkunft und Heizung. Sie hat eine Wohnung, die sie - ungeachtet dessen, dass sie noch eine Freiheit...