Entscheidungsstichwort (Thema)
Apherese. Blutwäsche. Isolierte LP(a)-Erhöhung. LDL-Wert. Progrediente kardiovaskuläre Erkrankung. neue Behandlungsmethode. Gemeinsamer Bundesausschuss
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für eine Versorgung mit LDL-Apherese (Blutwäsche) bei isolierter LP(a)-Erhöhung - Vorliegen einer progredienten kardiovaskuläre Erkrankung
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. September 2023 wird zurückgewiesen.
Auch für das Beschwerdeverfahren sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Die zulässige, insbesondere nach §§ 172 Abs. 1, 173 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und form- und fristgerechte Beschwerde des Antragstellers vom 17. Oktober 2023 gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 4. Oktober 2023 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. September 2023 ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht das Begehren des Antragstellers, vorläufig mit Leistungen der LDL-Apherese versorgt zu werden, abgelehnt.
Bezüglich der Rechtsgrundlagen für die begehrte Eilentscheidung des Senats und die hierbei möglichen Prüfungsmaßstäbe (Anordnungsanspruch und -grund bzw. Folgenabwägung) verweist er gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffende Darstellung des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung.
Es fehlt jedenfalls derzeit an einem Anordnungsanspruch.
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er die Voraussetzungen für eine LDL-Apherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung gemäß § 3 Abs. 2 der Anlage I Nr. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung - RL MVV) oder für eine Notstandsleistung nach § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erfüllt.
1. Nach § 3 Abs. 2 Anlage I Nr. 1 RL MVV können LDL-Apheresen bei einer isolierten LP(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen). Während der Antragsteller mit einem Lp(a)-Wert von 321 nmol/l und einem LDL-Wert von 55 mg/dl die erstgenannten Voraussetzungen von § 3 Abs. 2 Anlage 1 Nr. 1 RL MVV unstreitig erfüllt, fehlt es an der hiernach zusätzlich erforderlichen Progredienz seiner kardiovaskulären Erkrankung.
Der Begriff „progredient“ ist im Ergebnis seiner wörtlichen Auslegung im Sinne von fortschreitend (und nicht von fortgeschritten) zu verstehen (Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. Dezember 2018 - L 5 KR 677/18 B ER - Rn. 9, bestätigt durch Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 22. Mai 2020 - 1 BvR 410/19 -; jeweils juris). Denn seinem Wortsinn nach bedeutet der auf die Partizipialform des lateinischen Verbs „progredi“ zurückgehende Begriff „progredient“ sich in einem bestimmten Verhältnis allmählich steigernd, entwickelnd (= progressiv, vgl. www.duden.de/rechtschreibung). Dass der Gemeinsame Bundesausschuss den Begriff entsprechend seinem natürlichen Wortsinn verstanden haben wollte, bestätigt die historische Auslegung: Nach den tragenden Gründen zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 19. Juni 2008 (https://www.g-ba.de/downloads/40-268-652/2008-06-19-RMvV-Apherese_TrG.pdf) zur Apherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung soll die Versorgung mit der Therapie davon abhängig sein, dass „… es (…) mit dem Einsatz der etablierten Behandlungsmethoden nicht gelungen (ist), die Progression der Erkrankung zu stoppen“ (GBA, a. a. O., S. 5). Nach den Vorstellungen des Richtliniengebers soll die Versorgung mit Leistungen der LDL-Apherese also nur bei einer fortschreitenden Erkrankung möglich sein. Hintergrund dieser engen Voraussetzungen ist, dass sich nach Auswertung der wissenschaftlichen Studienlage für den GBA kein Nutzenbeleg für die Apheresebehandlung bei isolierter Erhöhung des Lp(a) ergab. Nur bei strikter Einhaltung der von ihm aufgestellten Voraussetzungen ging der GBA von einem Überwiegen des Nutzens der Therapie gegenüber dem zu erwartenden Schadenspotential aus (GBA, a. a. O.).
Gemessen an dem diesem Merkmal hiernach zukommenden Bedeutungsgehalt ist eine klinisch und durch bildgebende Befunde belegte Progredienz der kardiovaskulären Erkrankung des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht. Hinweise auf eine Progredienz ergeben sich insbesondere nicht aus der Begründung des Facharztes für Innere Medizin und Nephrologie Dr. R für die Einleitung einer Lipid-Apherese vom 5. März 2023 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Juni 2023. Die Notwendigkeit einer LDL-Apherese soll sich hiernach wegen „des Ausmaßes der Befunde“, welches eine weitere Progression befürchten lasse, und wegen seiner Einschätzung, dass d...