Entscheidungsstichwort (Thema)
Beurteilungszeitpunkt für die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Prozesskostenhilfe. Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht. Abgrenzung von Auskunftseinholung und Beweiserhebung
Orientierungssatz
1. Bei der Entscheidung über einen Prozesskostenhilfenantrag ist für die gebotene Erfolgsprognose ausnahmsweise dann nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der vollständigen Vorlage des Antrags, wenn die Entscheidung durch das Gericht grundlos verzögert wurde und sich zwischenzeitlich die Sach- und Rechtslage zum Nachteil des Antragstellers geändert hat.
2. Die hinreichende Erfolgsaussicht eines Prozesskostenhilfeantrags ist im sozialgerichtlichen Verfahren jedenfalls dann gegeben, wenn das Gericht eine Beweiserhebung von Amts wegen für notwendig erachtet.
3. Fordert das Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits über die Höhe des Grads einer Behinderung von einem Arzt schriftlich die Beschreibungen der Erkrankungen und der dazu gehörigen Funktionseinschränkungen entsprechend der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht, so handelt es sich nicht mehr nur um eine bloße Auskunft im Sinne des § 118 ZPO, sondern um den Eintritt in die Beweiserhebung.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juli 2009 abgeändert. Der Klägerin wird ab dem 8. Mai 2007 für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung von Rechtsanwalt T K, Astraße, B bewilligt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 8. Juli 2009 ist zulässig und begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Bei der Abwägung, ob einer Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt, gebietet Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem in Artikel 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsgrundsatz und der in Artikel 19 Abs. 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. In der Folge dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überzogen werden, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bietet, sondern ihn erst zugänglich macht (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 - zitiert nach juris -; vom 14. März 2003 - 1 BvR 1998/02 - in NJW 2003, 2976; vom 7. April 2000 - 1 BvR 81/00 - in NJW 2000, 1936). Damit muss der Erfolg des Rechtsschutzbegehrens nicht gewiss sein; hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen ist. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist daher gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a, Rn. 7a, b, m. w. N.).
Nach Maßgabe der genannten Grundsätze bietet die Rechtsverfolgung zwar zum Entscheidungszeitpunkt des Senats keine Erfolgsaussichten mehr. Denn die Klage ist durch das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 8. Juli 2009 abgewiesen worden. Dieser ist nach Lage der Akten rechtskräftig. Auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kommt es aber jedenfalls vorliegend nicht an. Zwar ist für die geforderte Erfolgsprognose grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts - hier des Senats - abzustellen (vgl. hierzu und zum Folgenden Lowe in Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 73a SGG, Rn. 5). Dies kann aber dann nicht gelten, wenn die Entscheidung durch das Gericht grundlos verzögert wird und sich zwischenzeitlich die Sach- oder Rechtslage zum Nachteil des Antragstellers geändert hat. Abzustellen ist dann auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags, zu dem das Prozesskostenhilfegesuch einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den dazu gehörigen Belegen vollständig bei Gericht eingegangen ist, oder den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags, zu dem die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen vorliegen und das ...