Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Bekleidung und Schuhe in Übergröße. Ernährung und Getränke bei konstitutionsbedingtem erhöhten Energiebedarf. Verkehr und Mobilität. Sozialticket Berlin. BahnCard 50. verfassungskonforme Auslegung. sozialgerichtliches Verfahren. selbstständiges Beweissicherungsverfahren. Verzugskostenpauschale
Orientierungssatz
1. Zum Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB 2 wegen der (laufenden) Anschaffung von Bekleidung und Schuhen in Übergröße sowie wegen eines konstitutionsbedingten erhöhten Energiebedarfs und zu dessen Höhe.
2. Zum Nichtbestehen eines Anspruchs auf die Gewährung höherer Leistungen speziell zur Gewährleistung eines (besonderen) Mobilitätsbedarfs bei nicht nachgewiesenem besonderen Bedarf.
3. Ein Anspruch auf Durchführung eines selbständigen Beweissicherungsverfahrens vor dem Landessozialgericht besteht nicht. § 76 SGG gilt nur für die Sozialgerichte.
4. Die Norm § 288 Abs 5 BGB (Verzugskostenpauschale) kann im Sozialrechtsverhältnis allenfalls entsprechend zur Anwendung gelangen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 2019 wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 2019 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Im Streit stehen höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014.
Der Kläger ist 1965 geboren und bezieht bei dem Beklagten jedenfalls seit 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II gemäß § 19 Abs. 1 SGB II).
Der Kläger hat eine Körpergröße von 2,07 m und die Bekleidungsgröße 118 sowie Schuhgröße 52 bzw. 16UK. Er bewohnt seit 2005 eine Wohnung mit einer Gasetagenheizung, die Warmwasserversorgung erfolgt dezentral über eine Gastherme. Der Kläger hat sich in dem Mietvertrag verpflichtet, für die Wohnung eine private Haftpflichtversicherung abzuschließen (Anlage 1 zum Mietvertrag, zu § 25 Abs. 3 des Vertrags). Der Kläger zahlte für die Haftpflichtversicherung jährlich im Juli einen Beitrag in Höhe von 32,24 Euro.
Der Beklagte berücksichtigte in der Annahme eines höheren Grundumsatzes des Klägers für diesen einen ernährungsbedingten (individuellen) Mehrbedarf in Höhe von 10 % des Regelbedarfs. Dies beruhte auf einer Stellungnahme der Abteilung Gesundheit des Bezirksamtes Mitte von Berlin vom 13. Dezember 2011 (Frau Dr. H, Bl. der Leistungsakte - LA - Bd. ). Danach erscheine bei Annahme eines erhöhten Grundumsatzes ein Mehrbedarf, bezogen auf den Regelbedarf für Nahrung und alkoholfreie Getränke, von ca. 30 % angemessen. Dies entspreche ungefähr den „Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe“, die einen Mehrbedarf von 10 % des Eckregelsatzes für eine Anzahl von Erkrankungen vorsähen, die diätetisch mit einer Vollkost nicht ausreichend zu behandeln seien und einen erhöhten Ernährungsaufwand forderten.
Der Kläger beantragte mit seinem Antrag vom 22. Mai 2014 für die Leistungen ab dem 1. Juli 2014 u.a. eine Erhöhung des Mehrbedarfs auf 20 %, da der bisherige Mehrbedarf aufgrund seines erhöhten Energie- bzw. Kalorienbedarfs zur Gewährleistung einer angemessenen Grundversorgung völlig unzureichend sei sowie eine erhöhte Gewährung des Zuschlags für den Stromverbrauch zum Betrieb seiner Gastherme.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 30. Mai 2014 vorläufig Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 in Höhe von 791,25 Euro monatlich. Neben dem Regelbedarf in Höhe von 391,00 Euro berücksichtigte er weiter einen (ernährungsbedingten) Mehrbedarf in Höhe von 10 % (39,10 Euro) sowie einen Zuschlag für den Strombedarf der Gastherme in Höhe von 1,75 (entspricht 5 % der Gasabschläge des Klägers) zusätzlich zur Miete und den Heizkosten. Die Vorläufigkeit seiner Bewilligung begründete der Beklagte damit, dass der Antrag auf Gewährung eines (weiteren) Mehrbedarfs für die Warmwasseraufbereitung noch nicht (abschließend) beschieden werden könne.
Der Kläger erhob am 29. Juni 2014 mehrere Widersprüche gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid und stellte daneben drei Anträge auf Überprüfung der bis dahin ergangenen Bewilligungsbescheide betreffend den Leistungszeitraum rückwirkend zum Januar 2013. Er begehrte mit diesen u.a. die Übernahme der Kosten für das Sozialticket, die Gewährung eines höheren ernährungsbedingten Mehrbedarfs sowie eines Mehrbedarfs für Kleidung und Schuhe in Übergröße in Höhe von 100 % der im Regelbedarf vorgesehenen Summe (32,09 Euro für 2013), bzw. mindestens 20 % des maßgebenden Regelbedarfs (= 78,20 Euro). Ungeachtet dessen sei die Höhe des Regelbedarfs allgemein ver...