Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. behindertes Kind. Unterbringung im Wohnheim eines Schulinternats. Eigenanteil an Unterkunftskosten. Eingliederungshilfe
Orientierungssatz
Ist die Unterbringung eines behinderten Schülers im Wohnheim eines Internats zur Wahrnehmung einer bedarfsgerechten Beschulung unumgänglich und ihm die tägliche Anreise wegen der großen Entfernung zum Elternwohnort nicht zuzumuten, ist ihm der Eigenanteil an den Unterbringungskosten - anders als einem nicht behinderten Schüler - durch seine Behinderung aufgezwungen und daher notwendiger Bestandteil der Hilfe zur angemessenen Schulbildung iS des § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12 iVm § 12 BSHG§47V.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 19. Dezember 2005 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Eingliederungshilfe durch Übernahme der Unterbringungskosten im Internat für Sehgeschädigte in K W in Höhe von monatlich 135,00 € ab dem Monat November 2005 für drei Monate zu gewähren.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. M N gewährt.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten für das sozialgerichtliche und für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I. Der 1992 geborene Antragsteller leidet unter parziellem okulärem Albinismus mit beidseitiger Sehschwäche bei Nystagmus und wird seit dem Schuljahr 2005/2006 nach Zuweisung durch das staatliche Schulamt aufgrund von Feststellungen des Förderausschusses vom 31. Januar 2005 in der Brandenburgischen Schule für Blinde und Sehbehinderte KW beschult. Seit Beginn des Schuljahres ist er Bewohner des Internats dieser Schule. Die Kosten der Beschulung und des Internats trägt der Schulträger, der Landkreis Dahme-Spreewald, mit Ausnahme eines monatlichen Eigenbetrags in Höhe von 135,00 € für den Internatsaufenthalt sowie eines - hier nicht streitgegenständlichen - Anteils an den Verpflegungskosten in Höhe von 90,00 €, der von den Eltern des Antragstellers erhoben wird.
Mit Bescheid vom 02. März 2005 lehnte der Antragsgegner es ab, die Kosten des Wohnheims an der Brandenburgischen Schule für Blinde und Sehbehinderte in KW in Höhe des Eigenanteils zu übernehmen. Der Bedarf einer Unterbringung des Antragstellers während der Schulzeit resultiere ausschließlich aus der Tatsache, dass zwischen Schule und elterlicher Wohnung eine einfache Fahrtstrecke von ca. 101 km zurückzulegen sei. Mit dieser Strecke sei eine Fahrtzeit von mindestens 80 Minuten verbunden, was einen täglichen Fahrdienst für den Antragsteller unzumutbar mache. Es liege aber keine Unzumutbarkeit aufgrund der Art und Schwere seiner Behinderung vor. Die Unterbringungskosten seien daher nicht als Eingliederungshilfe, sondern vom zuständigen Schulträger zu erbringen.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2005 zurück. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Klage vor dem Sozialgericht zum Aktenzeichen S 20 SO 110/05.
Am 07. November 2005 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Potsdam die Übernahme des Eigenbeitrags an den Unterbringungskosten im Internat im Wege der einstweiligen Anordnung ab dem Monat November 2005 für zunächst drei Monate begehrt. Zur Begründung hat sein Prozessbevollmächtigter vorgetragen, der Eingliederungshilfeanspruch des Antragstellers umfasse auch den Eigenbeitrag für seinen Aufenthalt im Internat. Dies ergebe sich u. a. aus dem Rundschreiben Nr. 10/2004 des Landesamtes für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg - Landessozialamt - vom 21. Juli 2004, in dem ausgeführt werde, dass eine Unterbringung in einem der Schule angegliederten Wohnheim/Internat erforderlich sei, wenn eine in nächster Entfernung zum elterlichen Wohnort gelegene Beschulung bedarfsgerecht nicht möglich sei und eine tägliche Anreise wegen der Entfernung dem Schüler nicht zugemutet werden könne. Ein Anordnungsgrund bestehe, weil der Internatsträger mit Schreiben vom 02. November 2005 die fristlose Kündigung des Internatsvertrages für den Fall angekündigt habe, dass die Eigenbeiträge für August und September 2005 nicht bis 11. November 2005 bezahlt würden oder bis dahin keine Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers vorliege. Der Antragsgegner ist dem Antrag mit der Begründung entgegengetreten, dass beim Antragsteller kein über den schulischen Bereich hinausgehender sonderpädagogischer Förderbedarf und damit auch keine Notwendigkeit einer Unterbringung im Internat als Beitrag der Eingliederungshilfe für Behinderte bestehe.
Das Sozialgericht Potsdam hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 19. Dezember 2005 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht, weil nicht glaubhaft gemacht sei, dass der Aufenthalt im Internat zumindest auch zur Betreuung wegen der erheblichen Sehbehinderung und nicht nur wegen der Entfernung zwischen Wohnun...