Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestandskraft. Rechtsschutzbedürfnis
Orientierungssatz
1. Ist ein ablehnender Bescheid bestandskräftig geworden, so ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG in derselben Sache nicht mehr statthaft.
2. Die Bestandskraft der ablehnenden behördlichen Entscheidung kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein dennoch gestellter Antrag auf einstweiligen Rechtschutz als Neuantrag an die Behörde fingiert wird.
3. Gleiches gilt für einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB 10. Vorläufiger gerichtlicher Rechtschutz in Bezug auf das Verfahren nach § 44 SGB 10 kann daher nur im Rahmen eines neuen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden.
Normenkette
SGG § 84 Abs. 1, § 86b Abs. 2 S. 2; SGB X § 44
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2018 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des Antragstellers des gesamten Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2018, mit dem der Antragsgegner verpflichtet wurde, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 26. Februar 2018 bis zum 7. Mai 2018 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) zu gewähren, ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat die einstweilige Anordnung zu Unrecht erlassen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Vorliegend bestand aufgrund der bestandskräftigen Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 13. Dezember 2017 mit Bescheid vom 14. Dezember 2017 bereits kein einer Regelung zugängliches und für die Statthaftigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliches “streitiges Rechtsverhältnis„ (mehr). Der von der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit dem Antrag beim Sozialgericht vorgelegte, mit Schreiben vom 10. Januar 2018 verfasste “Widerspruch gegen den Bescheid zur Aufhebung der Leistungen nach dem AsylbLG„ befindet sich nicht in dem vom Senat beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners und wurde ausweislich der im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Faxkopie auch an eine unzutreffende Faxnummer nämlich an “030-xxxx-xxxx„ (laut Internet: Fax-Nr. “A am Ostkreuz„) anstelle der im Bescheid angegebenen Faxnummer des Antragsgegners (030-9028-6004) abgesandt. Der beim Antragsgegner am 21. März 2018 eingegangene Schriftsatz der Antragstellerin vom 13. März 2018 zur “Begründung des Widerspruchs gegen den Bescheid…vom 14. Dezember 2017„ wahrt nicht die Monatsfrist des § 84 Abs. 1 SGG zur Erhebung eines Widerspruchs.
Da der Ablehnungsbescheid danach bestandskräftig ist, ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, der zwar vor und auch während eines Widerspruchs- bzw. Hauptsacheverfahrens gestellt werden kann, nicht mehr statthaft (vgl. zur Problematik: Peters-Sautter-Wolf, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit § 86 b SGG, Rn. 81; Keller, a.a.O. § 86b Rn. 26d; Kopp-Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, 17. Auflage, § 123 VwGO, Rn. 18; Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., 2008, Rn. 98, m. w. N.; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03. September 2014 - L 20 AS 2061/14 B ER -, Rn. 7, juris; LSG Saarland, Beschluss vom 11. August 2005 - L 9 B 4/05 AS - juris -; BayLSG, Beschluss vom 23. September 2010 - L 7 AS 651/10 B ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Februar 2006 - L 19 B 112/05 AS-ER - juris).
Die Bestandskraft einer ablehnenden behördlichen Entscheidung darf auch nicht dadurch unterlaufen werden, dass der dennoch bei Gericht gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entgegen seines Erklärungsinhalts als Neuantrag an die Behörde fingiert wird, der ohne weiteres zur Zulässigkeit gerichtlichen Eilrechtsschutzes führt, wie das SG in dem angefochtenen Beschluss wohl meint.
Auch soweit das Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 13. März 2018 oder der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz selbst als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - ausgelegt werden kann, führt dies nicht zur Zulässigkeit des Antrages nach § 86b Abs. 2 SGG. Der Senat hält die Auffassung, dass ein Antrag auf die einstweilige Gewährung bestandskräftig abgelehnter Leistungen dann nicht unzulässig sei, w...