Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss eines beitragslosen Krankenversicherungsschutzes für einen Unionsbürger
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Sachleistungen gegenüber dem deutschen Rentenversicherungsträger gemäß Art. 24 EGV 883/2004 hat ein Unionsbürger nur dann, wenn er mangels hinreichender Beziehungen zum Rentenversicherungssystem des Wohnortstaates - hier Ungarn - dort keinen originären Anspruch auf Sachleistungen hat. Hat er im konkreten Fall einen Sachleistungsanspruch gegen die ungarische Krankenversicherung, so ist der Rentenversicherungsträger zur Ausstellung des Formulars E 121 bzw. des Dokuments S 1 nicht verpflichtet.
2. Geht es dem Unionsbürger darum, in Deutschland eine Krankenversicherung zu erhalten, für die er Beiträge nicht zu entrichten hat, so begründet dies keinen für die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz erforderlichen Anordnungsgrund. Eine beitragslose Krankenversicherung ist nicht möglich; sie kann auch nicht aufgrund europarechtlicher Vorschriften erlangt werden.
Tenor
Der Antrag des Klägers und Berufungsklägers (Antragstellers) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der - zulässige - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin oder der Beigeladenen auf Ausstellung der Bescheinigung E 121 bzw. jetzt des portablen Dokuments (PD) S 1 im Wege der einstweiligen Anordnung.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Dabei ist es für das einstweilige Rechtsschutzverfahren ohne Bedeutung, ob die Ausstellung des E 121 bzw. des PD S1 einen Verwaltungsakt darstellt oder ob - wie es das Sozialgericht in dem dem hiesigen Berufungsverfahren zugrunde liegenden Urteil vom 16. Oktober 2014, Az. S 9 R 458/10, angenommen hat - nicht der Fall ist. Eine Regelungsanordnung könnte auch ergehen, wenn sie schlichtes Verwaltungshandeln, wie es das Sozialgericht für die Ausstellung des E 121 angenommen hat, betrifft.
Der Antragsteller hat jedoch weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Als Rechtsgrundlage für die Ausstellung des PD S1 kommt Art. 24 Abs. 1 in der am 20. Mai 2004 in Kraft getretenen, aber erst ab 1. Mai 2010 - nach Inkrafttreten der Durchführungsverordnung 987/2009 - anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EGV 883/2004) in Verbindung mit Art. 24 Absätze 1, 2, 3 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Betracht oder Art. 28 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EGV 1408/71), in Verbindung mit Art. 29 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihre Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EGV 574/72). Dabei kann dahinstehen, welches Recht anwendbar ist, da die genannten Artikel der EG-Verordnungen 1408/71 und 883/2004 nicht wortgleich, aber inhaltsgleich sind. Eine Anwendbarkeit des neuen, zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung der Ausstellung des E 121 am 1. Mai 2009 noch nicht anwendbaren Rechts könnte sich daraus ergeben, dass Übergangsvorschriften nicht vorgesehen sind (vgl. Hauschild in Hauck/Noftz, Kommentar zum EU-Sozialrecht, VO 883/04 - K Art. 84, Rndr. 10). Welche Vorschriften anwendbar sind, braucht jedoch hier nicht entschieden zu werden, da ein Anordnungsanspruch - nach beiden Vorschriften - nicht glaubhaft gemacht wurde. Es werden anschließend (nur) die Vorschriften der EGV 883/2004 i.V.m. EGV 987/2009 zitiert.
Art. 24 Abs. 1 EGV 883/2004 lautet:
Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaates oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständig...