Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Amtsenthebung des Mitglieds eines Selbstverwaltungsorgans

 

Orientierungssatz

1. Nach § 59 Abs. 3 S. 1 SGB 4 ist ein Mitglied eines Selbstverwaltungsorgans von seinem Amt zu entheben, wenn es in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstoßen hat. Die Vorschrift ist u. a. auf die Mitglieder des Verwaltungsrats einer Krankenkasse anzuwenden.

2. Erst ein grober Verstoß des Mitglieds gegen die ihn treffende Pflicht zum rechtmäßigen Handeln im Zusammenhang mit seinem Amt ist ausreichende Grundlage einer Amtsenthebung (BSG Urteil vom 29. 6. 1979, 8b RK 4/79). Der Verstoß muss in seiner Auswirkung auf die Belange des Versicherungsträgers ein erhebliches Gewicht besitzen.

3. Bei der Geltendmachung eines Vertrauensverlustes muss ein konkreter Anlass nachgewiesen werden, der die Amtsenthebung rechtfertigt.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen eine Amtsenthebung.

Der Antragsteller war 2017 über die Liste „Barmer VersichertenGemeinschaft“ zum Mitglied des Verwaltungsrates der Antragsgegnerin gewählt worden, er wurde stellvertretender Sprecher dieser Fraktion.

Der Vorstand der Antragsgegnerin informierte den Verwaltungsrat in der Sitzung vom 16. März 2018 darüber, dass die Staatanwaltschaft Ermittlungen gegen Beschäftigte der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit dem morbiditätsbedingten Risikostrukturausgleich aufgenommen habe. Diese Ermittlungen wurden auch in den Sitzungen des Verwaltungsrats vom 19. September 2018 und der Sitzung des Haupt- und Grundsatzausschusses des Verwaltungsrats vom 19. November 2019 thematisiert. Bezüglich des Protokolls der Sitzung vom 19. November 2019 regte der Antragsteller Korrekturen an, die in einer weiteren Sitzung am 13. Mai 2020 zum Teil aufgegriffen wurden und zu einer Änderung des Protokolls der Sitzung vom 19. November 2019 führten.

Mit Schreiben vom 10. Februar 2020 wandte sich der Antragsteller zusammen mit dem Sprecher der Fraktion „Barmer VersichertenGemeinschaft“, Herrn K W L, an die Staatsanwaltschaft Berlin. Unter Hinweis auf ihre Funktion im Verwaltungsrat beantragten sie die Einsicht in die Ermittlungsakten. Die Staatsanwaltschaft führe gegen Mitarbeiter der Antragsgegnerin Ermittlungsverfahren wegen Manipulationsverdacht. Die Akteneinsicht werde im Rahmen der dem Verwaltungsrat obliegenden Aufsichtspflicht benötigt um sicherzustellen, dass der Vorstand zutreffend informiert habe.

Der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 14. Mai 2020 zu einer beabsichtigten Amtsenthebung wegen des an die Staatsanwaltschaft gerichteten Schreibens an. Das Präsidium des Verwaltungsrats habe nach externer Beratung entschieden, diese Frage auf die Tagesordnung der am 26. Juni 2020 stattfindenden nächsten Sitzung zu setzen.

Der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin beschloss in nichtöffentlicher vertraulicher Sitzung am 26. Juni 2020 mehrheitlich, den Antragsteller (ebenso wie Herrn L) wegen groben Verstoßes gegen seine Amtspflichten seines Amtes als Verwaltungsratsmitglied zu entheben und die sofortige Vollziehung dieses Beschlusses anzuordnen.

Mit Bescheid vom 20. Juli 2020 teilte der Verwaltungsrat der Antragsgegnerin dem Antragsteller die über ihn gefassten Beschlüsse mit. Der Antragsteller habe gegen die Pflichten zur kollegialen Zusammenarbeit und gegenseitigen Information verstoßen. Durch sein unabgestimmtes Verhalten habe er sich Kontrollbefugnisse angemaßt, die nicht ihm, sondern lediglich dem Verwaltungsrat als Organ zustünden. Er habe sich gemeinsam mit Herrn L ohne vorherige Abstimmung mit dem Verwaltungsrat an die Staatsanwaltschaft Berlin gewandt und dort ein Recht auf Akteneinsicht reklamiert. Es sei aber zunächst eine Entscheidung des Verwaltungsrats dazu herbeizuführen gewesen, ob ein solcher Antrag auf Akteneinsicht überhaupt gestellt werden solle. Eine Rechtfertigung dieses Verhaltens ergebe sich weder aus dem in der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats formulierten Frage- und Akteneinsichtsrecht, noch aus der die Aufgaben des Verwaltungsrats als Organ regelnden Vorschrift des § 197 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) oder dem in § 475 Strafprozessordnung (StPO) formulierten Akteneinsichtsrecht. Eine Amtspflichtverletzung liege auch darin, dass der Antragsteller den Verwaltungsrat nicht wenigstens im Nachhinein über das Akteneinsichtsgesuch informiert habe. Dazu habe im Rahmen einer am 3. April 2020 stattgefunden habenden Telefonkonferenz Gelegenheit bestanden. Es komme nicht darauf an, dass der Antragsteller keine vertraulichen Informationen an die Staatsanwaltschaft übermittelt habe. Denn der Verstoß gegen die Amtspflichten ergebe sich bereits aus dem nicht mit dem Verwaltung...

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