Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung. Anordnungsgrund (verneint). Erwerb einer Eigentumswohnung. Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit. Sozialwidrigkeit (verneint). Grundsicherung für Arbeitsuchende. Hilfebedürftigkeit. Entstehungsgrund. kein Ersatzanspruch wegen sozialwidriger Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Hilfebedürftigkeit im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Nr. 3, 9 SGB II ist grundsätzlich gegenwartsbezogen und unabhängig von den Gründen ihres Entstehens zu beurteilen. Auch schuldhaft herbeigeführte Hilfebedürftigkeit schließt den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht aus.
2. Der Erwerb einer Eigentumswohnung aus eigenen Mitteln ist in der Regel nicht "sozialwidrig" im Sinne von § 34 Abs. 1 SGB II, so dass gegen die später entstandene Hilfebedürftigkeit nicht eingewandt werden kann, die Antragsteller hätten sie schuldhaft herbeigeführt.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2007 ist zulässig (§§ 172 Abs. 1 und 173 SGG), jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG abgelehnt und dabei angenommen, dass es dem Eilantrag an der notwendigen Dringlichkeit, also am Anordnungsgrund, mangele. Zutreffend hat das Sozialgericht dabei vorausgesetzt, dass es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ankomme und letzterer nur gegeben sei, wenn eine gegenwärtige, wesentliche und nicht abwendbare Notlage gegeben ist, die es unzumutbar erscheinen lässt, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. In nicht zu beanstandender Weise hat das Sozialgericht weiter den Bedarf der Antragsteller mit etwa 870 Euro monatlich beziffert und dem das monatliche Nettoeinkommen der Antragstellerin zu 2. von etwa 750 Euro gegenüber gestellt. Daneben verfügen die Antragsteller über Vermögen in Gestalt eines Depotkontos, das nach Beantragung der Leistungen nach dem SGB II sogar noch erheblich angewachsen ist, nämlich von 11.239,35 Euro am 14. September 2006 auf 13.260,05 Euro am 16. Januar 2007. Dass dieses Vermögen unter den geschützten Grundfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II fällt, kann nach Auffassung des Senats nur im Hauptsacheverfahren erheblich sein, muss aber bei der Beurteilung des Anordnungsgrundes außer Betracht bleiben, denn für den Fall, dass die Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegen, werden sie eine Nachzahlung erhalten, mit der sie den etwaigen Verlust von Teilen des Vermögensstammes kompensieren können. Eine den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigende Eilbedürftigkeit vermochte auch der Senat nach alledem nicht zu erkennen.
In der Sache weist der Senat aber auf Folgendes hin: Die Hilfebedürftigkeit im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Nr. 3, 9 SGB II ist grundsätzlich gegenwartsbezogen und unabhängig von den Gründen ihres Entstehens zu beurteilen. Auch schuldhaft herbeigeführte Hilfebedürftigkeit schließt den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht aus. Die Leistungen sollen ohne zeitraubende Prüfung der Ursache schnellstmöglich gewährt werden, um die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen (vgl. hierzu ausdrücklich Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Rdnr. 28, zitiert nach juris; Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, Rdnr. 1 zu § 34; Conradis in LPK-SGB II, Rdnr. 1 zu § 34).
Um sozialwidrige Ergebnisse zu vermeiden, bestimmt allerdings § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, dass eine Pflicht zum (nachträglichen) Ersatz der gewährten Leistungen für denjenigen besteht, der die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat. Weil von einem Verschulden der Antragsteller in diesem Sinne keine Rede sein und damit die Geltendmachung von Ersatzansprüchen auf der Grundlage von § 34 SGB II ausgeschlossen sein dürfte, hat die Frage, warum sie hilfebedürftig geworden sind, erst recht bei der Leistungsgewährung selbst außer Betracht zu bleiben. Orientiert an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur fast inhaltsgleichen Vorgängervorschrift in § 92 a BSHG (vgl. Urteil vom 23. September 1999, 5 C 22/99, BVerwGE 109, 331, Rdnr. 12, zitiert nach juris), die uneingeschränkt auf § 34 SGB II übertragen werden kann, gelten für die Beurteilung der schuldhaften Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit folgende Maßstäbe: Die Regelung in § 34 Abs. 1 SGB II enthält einen engen deliktähnlichen Ausnahmetatbestand. Es handelt sich um einen quasi-deliktischen Anspruch, weil der Ersatzanspruch von einem schuldhaften Verhalten des Ersatzpflichtigen abhängt. Diese Bezeichnung bringt zum Ausdruck, dass das den Kostenersatzanspruch auslösende Verhalten nicht notwendig ein “rechtsw...