Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland. gewöhnlicher Aufenthalt in Brasilien. unabweisbare außergewöhnliche Notlage nach § 24 SGB 12

 

Orientierungssatz

Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Gewährung von Sozialhilfe für Deutsche im Ausland, insbesondere zur außergewöhnlichen Notlage, Unabweisbarkeit, zu entgegenstehenden Gründen einer Rückkehr ins Inland, Art und Maß der Leistungserbringung, zur Stellung eines erforderlichen Leistungsantrags, Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers und Zusammenarbeit mit diplomatischen Behörden nach § 24 SGB 12.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2008 geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 11. Juni 2008 Hilfe zum Lebensunterhalt im Umfang des Mietzinses für die Wohnung “R LM, l, q, P P, D de C„, B, sowie eines Geldbetrages im Gegenwert von monatlich 172,50 € bis 30. Juni 2008 und 175,50 € ab 1. Juli 2008 zu gewähren. Zur Umsetzung der Verpflichtung arbeitet der Antragsgegner mit den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland in B zusammen.

Die Verpflichtung besteht zunächst bis zum 31. Oktober 2008. Über diesen Zeitpunkt hinaus besteht sie nur, wenn der Antragsteller dem Antragsgegner gegenüber

(1.) bis zum 30. September 2008 Nachweise dafür erbringt, dass er

(a) bei dem b Gericht, auf dessen Anordnung hin sein deutscher Reisepass bei einer b staatlichen Stelle hinterlegt ist, einen Antrag auf Aushändigung des Passes zum Zweck der Ausreise aus B ohne konkretes Rückkehrdatum und

(b) bei einer diplomatischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland gestellt hat

und

(2.) bis zum 31. Oktober 2008 und danach jeweils zum Ende eines Kalendermonats Nachweise dafür erbringt, dass ein Antrag von der b staatlichen Stelle oder von der zuständigen Behörde der Bundesrepublik Deutschland abschlägig beschieden worden ist oder auf Grund eines Umstandes noch nicht beschieden worden ist, für den der Antragsteller nicht verantwortlich ist.

Die Verpflichtung des Antragstellers ab dem 1. November 2008 besteht unter den genannten Voraussetzungen jeweils für den Kalendermonat, der dem Eingang der Nachweise folgt, längstens bis zum 28. Februar 2009.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten des Verfahrens zu zwei Dritteln zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen, die ihm noch nicht zuerkannt sind. In diesem Fall setzt eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 Zivilprozessordnung [ZPO]; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund).

Ein Anordnungsanspruch ist für die Zeit ab Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht ausreichend wahrscheinlich gemacht. Der Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt kann sich nur aus den §§ 27 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ergeben. Allerdings hält sich der Antragsteller gewöhnlich in Brasilien auf. Das schließt gemäß § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die Anwendbarkeit des SGB XII zunächst aus; dasselbe ergibt sich im Ergebnis aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Sowohl § 30 Abs. 1 SGB I als auch § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verwirklichen das völkerrechtlich abgesicherte Territorialitätsprinzip (Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialgesetzbuch, § 30 SGB I Randnummer [Rndr.] 2, Berlit in Lehr-und Praxiskommentar zum SGB XII [LPKSGB XII], § 24 Rdnr. 1). Der Antragsteller muss sich vor diesem Hintergrund vergegenwärtigen, dass ein Staat grundsätzlich ohne Weiteres berechtigt ist, (jedenfalls) die Gewährung steuerfinanzierter Sozialleistungen wie der Sozialhilfe davon abhängig zu machen, dass der Anspruchsteller sich im eigenen Staatsgebiet aufhält.

Eine Ausnahme von § 30 Abs. 1 SGB I und § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergibt sich nur nach Maßgabe des § 24 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 6 SGB XII.

Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII kann vom Leistungsausschluss nur abgewichen werden, soweit dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus einem der abschließend genannten Gründe nicht möglich ist.

Das Erfordernis der “außergewöhnlichen Notlage„ geht über das der “besonderen Notlage„ nach dem Bundessozialhilfegesetz bis 31. Dezember 2004 hinaus (hierzu im besonderen Bundesverwaltungsgericht, Amtliche Entscheidungssammlung [BVerwGE], Band 105, S. 44 ff). “Außergewöhnlich„ ist eine Notlage nur...

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