Entscheidungsstichwort (Thema)

Hilfebedürftigkeit eines Selbständigen (hier fraglich im Hinblick auf etwaige Privatentnahmen). Folgenabwägung

 

Orientierungssatz

1. Ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 1 SGB 2 bei einem selbständig Tätigen die Höhe seiner Einkünfte nicht abschließend zu klären, so hat das Gericht anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.

2. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Eine ungerechtfertigte Leistungsversagung wiegt ungleich schwerwiegender als eine nicht gebotene Gewährung. Deshalb ist es trotz der damit verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache im Zweifelsfall zulässig, Leistungen ohne Abschlag zu bewilligen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 09. November 2006 geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verurteilt, dem Antragsteller, seiner Lebensgefährtin B G und dem Sohn M G für November und Dezember 2006 Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II als vorläufige Leistungen ohne Anrechnung eines monatlichen Einkommens in Höhe von 500,00 € zu gewähren.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens um die Höhe der dem Antragsteller und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in den Monaten November und Dezember 2006 zustehenden Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Der 1981 geborene Antragsteller lebt gemeinsam mit seiner 1984 geborenen Freundin B G und dem 2006 zur Welt gekommenen Sohn M G Seit Januar 2005 bezieht er Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II. Bzgl. der Höhe seiner Ansprüche sind zahlreiche gerichtliche Verfahren anhängig gewesen und noch anhängig, die z.B. die Höhe der ihm zustehenden Kosten der Unterkunft seit dem 01. Juli 2006 (SG Cottbus S 23 AS 628/06 ER/LSG Berlin-Brandenburg L 5 B 778/06 AS ER) sowie den Wegfall des ihm zustehenden Anteils am Arbeitslosengeld II wegen Nichtannahme einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit u.a. für den November 2006 zum Gegenstand haben. Im letztgenannten Verfahren des Sozialgerichts Cottbus (S 23 AS 718/06 ER) ordnete dieses mit Beschluss vom 20. September 2006 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den "Sanktionsbescheid" der Antragsgegnerin vom 03. August 2006 an. Mit an den Antragsteller gerichtetem Bescheid vom 26. Oktober 2003 gewährte daraufhin die Antragsgegnerin diesem, seiner Lebensgefährtin B G und dem Sohn M G für die Monate November und Dezember 2006 unter Hinweis auf § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) vorläufig Leistungen in Höhe von monatlich 249,03 €. Dabei stellte sie dem errechneten Bedarf von 903,03 € (je 311,00 € für den Antragsteller und seine Lebensgefährtin, 207,00 € Sozialgeld für das Kind, 74,03 € Kosten der Unterkunft) als Einnahmen neben 154,00 € Kindergeld 500,00 € sonstige Einnahmen gegenüber. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller, der zunächst zum 29. Dezember 2003 eine gewerbliche Tätigkeit - Viehhandel - als Nebenerwerb angemeldet hatte, am 29. Juni 2006 bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Einstiegsgeld nach §§ 16 Abs. 2, 29 SGB II zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit beantragt hatte. Zur Begründung hatte er in diesem Zusammenhang angegeben, sich ab dem 01. Juli 2006 hauptberuflich dem Viehhandel, -transport und der Viehzucht widmen zu wollen und im ersten Jahr seiner selbständigen Tätigkeit ein Bruttoeinkommen von 1.000,00 bis 1.500,00 € zu erwarten. Aus seiner vorgelegten - offenbar Ende August 2006 erstellten - betriebswirtschaftlichen Planrechnung für die Jahre 2006 bis 2008 war zu entnehmen, dass im Jahr 2006 Privatentnahmen in Höhe von 6.000,00 € vorgesehen waren.

Mit seinem am 02. November 2006 eingelegten Widerspruch wandte der Antragsteller sich vorsorglich gegen die Aspekte, die bereits Gegenstand anhängiger Verfahren seien, sowie gegen die Einkommensanrechnung in Höhe von 500,00 €.

Bereits am 31. Oktober 2006 hatte er beim Sozialgericht Cottbus beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihm und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen monatliche Leistungen in Höhe von 749,03 € ohne Anrechnung eines Einkommens von 500,00 € zu gewähren. In seinem Fortzahlungsantrag vom 13. September 2006 habe er für November und Dezember 2006 als voraussichtliche Betriebseinnahmen "0" angegeben. Weiter ergebe sich aus den betriebswirtschaftlichen Aufstellungen von Juni und September 2006 eindeutig ein vorläufiges negatives Ergebnis. Er benötige den geltend gemachten Betrag dringend, da er in seinem Betrieb strukturelle Veränderunge...

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