Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtliches Vergabenachprüfungsverfahren. Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde. spätere Zuschlagsgestattung. Rahmenvereinbarung bzw. vertrag über parenterale Zubereitung aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie. Zytostatika. Wettbewerbsrecht. sozialrechtliche Wertentscheidungen. Krankenkasse. öffentlicher Auftraggeber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein stattgebender Beschluss nach § 118 Abs 1 S 3 GWB über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde im gerichtlichen Vergabenachprüfungsverfahren steht nicht zwingend einer späteren Zuschlagsgestattung nach § 121 GWB entgegen.

2. § 129 Abs 3 S 3 SGB 5 erlaubt für den Bereich der parenteralen Zubereitungen zu onkologischen Behandlungen als speziellerer Vorschrift den Abschluss von Einzelverträgen, auch wenn diese zwangsläufig von den rahmenvertraglichen Regelungen auf Grundlage des § 129 Abs 2 SGB 5 und den ergänzenden Verträgen auf Landesebene (§ 129 Abs 5 S 1 SGB 5) abweichen. Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen insoweit bewusst die Möglichkeit eingeräumt, das bisherige System vereinbarter Preise verlassen und auf diesem Gebiet die Preise dem freien Markt überlassen zu können.

3. § 11 Abs 2 ApoG als Ausnahme von § 11 Abs 1 ApoG ist nicht nur auf Zytostatika im engeren Sinne beschränkt. Zytostatika sind vielmehr alle Arzneimittel mit zellwachstums-, insbesondere zellteilungsverhindernder oder -verzögernder Wirkung.

 

Orientierungssatz

1. Im Rahmen der §§ 97 Abs 7 und 107 Abs 2 GWB können keine sozialrechtlichen Wertentscheidungen angemahnt werden.

2. Eine gesetzliche Krankenkasse ist ein öffentlicher Auftraggeber iS des § 98 Nr 2 GWB.

 

Tenor

Der Beschwerdegegnerin wird der Zuschlag gestattet.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdegegnerin hat ihren Sitz in Potsdam. Sie schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 19. Januar 2010 den Abschluss von Verträgen gemäß § 129 Abs. 5 Satz 3 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) (Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer) zur Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten im Offenen Verfahren europaweit aus.

Sie hat den AOK-Bundesverband mit der Durchführung der Ausschreibung beauftragt. Der streitige Auftrag betrifft die Versorgung auf dem Gebiet des Landes Berlin und ist in 13 Gebietslose, aufgeteilt nach Postleitzahlen, unterteilt. Die Gebietslose weichen im räumlichen Zuschnitt von der Aufteilung der Verwaltungsbezirke in Berlin ab.

Die Bekanntmachung bestimmte zunächst, dass Angebote “nur für ein Los" eingereicht werden sollten. Die Rahmenvereinbarungen sollen grundsätzlich für ein Jahr abgeschlossen werden. Zuschlagskriterium ist nach Ziffer IV.2.1 der niedrigste Preis. Varianten/Alternativangebote waren nicht zugelassen. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote war zunächst der 2. März 2010, 12.00 Uhr, bestimmt.

Bestandteil der an die Interessenten versandten Verdingungsunterlagen war als Anlage 1 der Entwurf des Vertrages gemäß § 129 Abs. 5 S. 3 SGB V über die Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten (Rahmenvertrag). Als Anhang 1 zu diesem Rahmenvertrag übersandte die Beschwerdegegnerin ein Produktblatt, das Angaben zu den Abgabevolumina je Gebietslos -jeweils in mg pro Wirkstoff - abbildet. Je Wirkstoff soll durch die Bieter ein Preis pro Milligramm angeboten werden. In Ziffer 10 der Bedingungen für die Auftragsvergabe wies die Beschwerdegegnerin darauf hin, dass sie Angaben zu dem voraussichtlichen Auftragsvolumen nur auf der Basis von Erfahrungswerten und Analysen aus der Vergangenheit machen könne. Künftige Mengen der für die Versicherten herzustellenden parenteralen Lösungen würden insbesondere vom Gesundheitszustand der AOK-Versicherten, dem Verordnungsverhalten der Ärzte sowie der vom Gesetzgeber vorgegebenen Struktur der ambulanten Versorgung abhängen. Auch die künftige Struktur und Anzahl der onkologischen Praxen bzw. der ambulant behandelnden Ärzte in dem jeweiligen Gebietslos könne Einfluss auf die Mengen haben. Insbesondere der Zu- und/oder Wegzug von Ärzten und/oder Praxen könne solche Schwankungen bewirken. Die im Produktblatt angegebenen Mengen seien auf das erste Halbjahr 2009 bezogen und stellten das gesamte von den Ärzten verordnete Volumen in diesem Zeitraum dar, das für Versicherte der AOK Berlin-Brandenburg in Berlin verordnet wurde.

Mit Schreiben vom 29. Januar 2010, auf das ergänzend verwiesen wird, beanstandete die Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin verschiedene Punkte der Ausschreibung. Insbesondere gebe es keine Rechtsgrundlage für einen exklusiven Selektivvertrag. Ferner lasse sich auf der Grundlage der im Rahmen der Ausschreibung; mitgeteilten Informationen kein Angebot kalkulieren, da eine genaue Ermittlung und Beschreibung des Auftragsvolumens fehle.

Mit Bieterrundschr...

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