Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Darlehen bei Mietschulden. Gerechtfertigkeitsprüfung. einstweiliger Rechtsschutz. fehlender Anordnungsgrund

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs 3 S 1 Halbs 1, 9 Abs 1 SGB 2 enthaltenen Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat, kann von einer gerechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede sein, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können.

2. Ein Anordnungsgrund kann im Falle der begehrten Mietschuldenübernahme grundsätzlich erst ab der Ankündigung der Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung angenommen werden.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die am 22. Juli 2010 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr am 25. Juni 2010 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juni 2010, mit dem das Begehren, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Mietschulden in Höhe von 5.323,94 EUR zu übernehmen, zurückgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die im Jahre 1957 geborene Antragstellerin, die seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht und deren wiederholter Antrag auf Übernahme der ausweislich einer Schuldenaufstellung des Vermieters vom 27. April 2010 seit März 2009 entstandenen Mietschulden mit Bescheid des Antragsgegners vom 6. Mai 2010 abgelehnt worden ist, hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund - also ein eiliges Regelungsbedürfnis - mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG], 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Satz 1, 22 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sind nicht erfüllt. Nach der zuletzt genannten Vorschrift sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit droht, wobei Geldleistungen zur Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II als Darlehen erbracht werden sollen.

Dabei kann offen bleiben, ob eine drohende Wohnungslosigkeit bereits deswegen ausgeschlossen ist, weil eine solche Situation wegen des entspannten Wohnungsmarktes in Berlin nicht zu befürchten ist (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2010, L 29 AS 2052/09 B ER, abrufbar bei der Datenbank Juris). Jedenfalls ist die Mietschuldenübernahme hier nicht gerechtfertigt. Bei Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 9 Abs. 1 SGB II enthaltenen Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat, kann von einer gerechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede sein, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER, abrufbar bei der Datenbank Juris).

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die begehrte Mietschuldenübernahme ausgeschlossen. Die Antragstellerin mietete die gegenwärtig bewohnte Dreizimmerwohnung, die eine Wohnfläche von 74 Quadratmetern umfasst und für die derzeit monatlich eine Bruttowarmmiete in Höhe von 498,- EUR zu entrichten ist, mit Wirkung ab dem 15. April 2007 an, ohne vorher die Zustimmung des zuständigen Leistungsträgers einzuholen. Seit dem 1. April 2010 bewohnt sie die Wohnung mit ihrer pflegebedürftigen Mutter, deren Pflege sie seither selbst übernommen hat. Bei dieser Sachlage kann die Antragstellerin die Schulden gemeinsam mit ihrer Mutter begleichen, zumal die Mutter nach den Ausführungen der Antragstellerin zu einer Beteiligung an der Schuldentilgung bereit ist und seit dem 1. Juli 2010 auch tatsächlich zu diesem Zweck einen monatlichen Betrag in Höhe von 100,- EUR beiträgt. Die laufenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind durch laufende Einnahmen gesichert. Der Antragsgegner berücksichtigt derzeitig für die Antragstellerin Regelleistungen in Höhe von 359,- EUR und die von ihm für angemessen gehaltenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in H...

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