Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses von Leistungen der Grundsicherung für einen Ausländer ohne Nachweis der erforderlichen Arbeitsuche

 

Orientierungssatz

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung glaubhaft macht.

2. Ist bei einem Ausländer eine Arbeitsuche mit konkreter Aussicht auf Erfolg nicht ersichtlich, so sind nach Ablauf eines Zeitraumes von sechs Monaten aufenthaltsbeendende Maßnahmen zulässig, wenn er nicht konkret nachweisen kann, mit Aussicht auf Erfolg Arbeit gesucht zu haben. Ein solches Verhalten hat nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 den Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung zur Folge.

3. Bei der Prüfung, ob von einer gelungenen Glaubhaftmachung eines Anspruchs auszugehen ist, ist nicht entscheidend auf die Angaben des Antragstellers abzustellen. Vielmehr beurteilt sich die Frage nach allen äußeren, objektiv erkennbaren Umständen.

4. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB 2 beschränkt sich nicht auf Leistungsberechtigte i. S. von § 7 Abs. 1 SGB 2, sondern erfasst auch nach § 7 Abs. 2 SGB 2 eventuell Leistungsberechtigte, also die in Bedarfsgemeinschaft Zusammenlebenden.

5. Der Leistungsausschluss verstößt nicht gegen Europarecht. Die Nichtanwendung eines in Kraft getretenen Gesetzes stellt einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar und birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung.

6. Dieser Maßstab gilt auch bei einer vermeintlichen Europarechtswidrigkeit einer anzuwendenden einfachgesetzlichen Regelung. Lediglich bestehende Zweifel an der Vereinbarkeit einer einfachgesetzlichen Norm mit europarechtlichen Regelungen, die nicht den Rang von Verfassungsrecht haben, berechtigen nicht zur Nichtanwendung der gesetzlichen Regelung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2013 geändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird in vollem Umfang abgelehnt.

Der Antragstellerin zu 2) wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin - Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt S L, G., B, beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Im Beschwerdeverfahren begehrt noch die Antragstellerin zu 2) im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1984 geborene Antragstellerin zu 2) ist lettische Staatsbürgerin und lebt seit dem 31. Januar 2013 mit dem Antragsteller zu 1), einem polnischen Staatsbürger, in Berlin in einer gemeinsamen Wohnung.

Am 11. Januar 2013 beantragten sie bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. In dem von dem Antragsteller zu 1) am 16. Januar 2013 unterschriebenen Antragsformular gab dieser an, dass die Antragstellerin zu 2) seine Lebensgefährtin sei und er von November 2011 bis Juni 2012 als Werbetechniker und von Juni 2012 bis zum 14. Januar 2013 als Bauhelfer tätig war. Die Antragstellerin zu 2) erklärte unterschriftlich unter dem 1. Februar 2013, vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Januar 2013 in einem befristeten Arbeitsverhältnis in Teilzeit (15 Stunden/wöchentlich) als Raumpflegerin tätig gewesen zu sein und sich seit Februar 2009 in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten.

Mit Bescheid vom 26. Februar 2013 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 30. Juni 2013 vorläufig Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 23. Mai 2013 bewilligte der Antragsgegner weiter Leistungen für den Monat Juli 2013.

Der Antragsteller zu 1) war ausweislich eines Arbeitsvertrages vom 15. Mai 2013 ab dem 16. Mai 2013 im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses von der Firma B M GmbH befristet bis zum 30. Juni 2013 eingestellt.

Mit Bescheid vom 28. Mai 2013 und Änderungsbescheid vom 2. Juli 2013 bewilligte der Antragsgegner schließlich für den Zeitraum vom 1. August 2013 bis zum 31. Dezember 2013 nur noch dem Antragsteller zu 1) Leistungen nach dem SGB II.

Die Antragstellerin zu 2) beantragte daraufhin am 2. Juli 2013 die Überprüfung des Bescheides vom 28. Mai 2013 nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie erhalte seit August 2013 keine Leistungen mehr und ihre Existenz sei gefährdet. Mit Bescheid vom 11. Juli 2013 bestätigte der Antragsgegner seine ablehnende Entscheidung; die Antragstellerin zu 2) habe ab dem 1. August 2013 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, da sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe (§ 7 Absatz 1 S. 2 SGB II). Derzeit stehe die Antragstellerin zu 2) in keinem Beschäftigungsverhältnis, ihre frühere Tätigkeit sei nicht mindestens ein Jahr ausgeübt worden und daher habe nur ein Leistungsanspruch für sechs Monate bestanden...

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