Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG"

 

Orientierungssatz

1. Bei der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" - außergewöhnliche Gehbehinderung - ist nicht darauf abzustellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzungen von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt.

2. Kann der Betroffene bei einem ataktischen Gangbild zwar mit kurzen Schritten noch frei gehen und muss er sich dabei wiederholt an Gegenständen festhalten, so hat er keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Die gewünschte Parkerleichterung wäre keine Hilfe, das Ziel ungefährdet zu erreichen, weil er auch auf dem verkürzten Weg überwacht und begleitet werden müsste.

3. Der für die Zuerkennung des Merkzeichens erforderliche Zustand ist noch nicht erreicht, wenn der Behinderte ständig der Führung durch eine Begleitperson bedarf. Hinzukommen muss eine starke Selbstgefährdung, sodass eine verantwortungsbewusste Begleitperson den Behinderten im innerstädtischen Fußgängerverkehr nicht mehr führen, sondern regelmäßig nur noch im Rollstuhl befördern würde.

4. Darüber hinaus kommt es bei der Zuerkennung des Merkzeichens darauf an, ob der Betroffene bereits nach einer Wegstrecke von 30 m so erschöpft ist, dass er zuerst Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Eine bestehende Gangunsicherheit allein rechtfertigt nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 29. Juli 2013 ist zulässig, aber nicht begründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren, in dem die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen “aG„ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und “T„ (Telebus) begehrt, liegen nicht vor.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Bei der Abwägung, ob einer Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt, gebietet Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem in Artikel 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsgrundsatz und der in Artikel 19 Abs. 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. In der Folge dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überzogen werden, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bietet, sondern ihn erst zugänglich macht (ständige Rechtsprechung, vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Mai 2009 - 1 BvR 439/08 - zitiert nach juris -; vom 14. März 2003 - 1 BvR 1998/02 - in NJW 2003, 2976; vom 7. April 2000 - 1 BvR 81/00 - in NJW 2000, 1936). Damit muss der Erfolg des Rechtsschutzbegehrens nicht gewiss sein; hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen ist. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist daher gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a, Rn. 7a, b, m. w. N.).

Nach Maßgabe dieser Vorgaben sind hinreichende Erfolgsaussichten hier im Hinblick auf die begehrten Merkzeichen zu verneinen. Im Kern ist dabei für die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “aG„ auf Abschnitt II Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO zurückzugreifen, wonach als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen sind, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Dazu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenke...

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