Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Europarechtskonformität. Vereinbarkeit mit dem FürsAbk AUT. Aufenthaltsrecht. Sozialhilfe. Sicherung des Lebensunterhalts. Eingliederung in Arbeit. Unionsbürger. Gleichbehandlung. Besondere beitragsunabhängige Leistung. Einstweilige Anordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 steht mit dem Europäischen Unionsrecht und dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in Einklang.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 1 Abs. 2-3; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 2; RL (EG) 38/2004 Art. 24 Abs. 2; VO (EG) 883/2004 Art. 4, 70; SGB XII § 21 S. 1; SGG § 86b Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2013 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird vollständig abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt O G, beigeordnet.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2013 ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 1. August 2013 bis zum 31. Januar 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 670,70 € monatlich zu gewähren. Denn es ist nicht glaubhaft, dass der Antragsteller aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II einen Anordnungsanspruch (§ 86b Abs. 2 Satz 2, 4 Sozialgerichtsgesetz ___AMPX_)_SEMIKOLONX___XSGG___AMPX_(_SEMIKOLONX___X in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung ___AMPX_)_SEMIKOLONX___XZPO___AMPX_(_SEMIKOLONX___X) hat.
Der Antragsteller (österreichischer Staatsangehöriger) ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgenommen. Sein Aufenthaltsrecht ergibt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern ___AMPX_)_SEMIKOLONX___XFreizügG/ EU___AMPX_(_SEMIKOLONX___X). Denn er hält sich derzeit weder als Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU), noch zur Berufsausbildung (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 3 FreizügG/EU: der Antragsteller hat lediglich vom 17. Juni 2011 bis zum 10. Januar 2013 an einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen) in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ein Recht zum Aufenthalt ergibt sich für ihn auch nicht aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 FreizügG/EU. Denn er war in der Bundesrepublik Deutschland weniger als ein Jahr selbständig erwerbstätig (und zwar vom 1. September 2010 bis zum 31. Januar 2011). Diese Tätigkeit ist zudem seit mehr als sechs Monaten beendet.
Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist anzuwenden. Das Europäische Unionsrecht verletzt sie nicht (vgl. Landessozialgericht ___AMPX_)_SEMIKOLONX___XLSG___AMPX_(_SEMIKOLONX___X Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Februar 2012, L 20 AS 2347/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. April 2012, L 5 AS 2157/11 B ER, L 5 AS 2177/11 B PKH; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Mai 2012, L 20 AS 802/12 B ER; LSG, Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2012, L 3 AS 1477/11; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2012, L 9 AS 47/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.06.2012, L 20 AS 1322/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. November 2012, L 29 AS 1782/12 B ER, L 29 AS 1783/12 B PKH; a. A.: Sächsisches LSG, Beschluss vom 31. Januar 2013, L 7 AS 964/12 B ER; Bayrisches LSG, Urteil vom 19. Juni 2013, L 16 AS 847/12 m. w. N.)
Denn sie beruht er auf Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 S. 77, 112). Auf diese europarechtliche Bestimmung hat der Gesetzgeber die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausdrücklich gestützt (BT-Drucksache 16/688, S. 13). Nach Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2004/38/EG bestimmt, dass auf keinen Fall...