Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheitsantrag. Stattgabe. Befangenheit eines Richters aufgrund seines Verhaltens im Prozess, etwa durch Übergehen eines Vortrags oder Antrags
Orientierungssatz
1. Das Verhalten des Richters im Prozess kann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht.
2. Je nach den Umständen reicht hierzu das Übergehen eines bestimmten Vortrags oder Antrags eines Beteiligten oder die fehlende Bereitschaft, das Vorbringen einer Partei vollständig zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen.
Tenor
Das Gesuch, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist begründet.
Gründe
Gemäß § 60 SGG i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist also nicht erforderlich; es genügt schon der "böse Schein" der Parteilichkeit, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Insbesondere kann das Verhalten des Richters im Prozess die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Je nach den Umständen reicht hierzu das Übergehen eines bestimmten Vortrags oder Antrags eines Beteiligten oder die fehlende Bereitschaft, das Vorbringen einer Partei vollständig zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen (ständige Rechtsprechung des Senats).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier ein solcher Grund vor:
Der Kammervorsitzende ordnete in der Ladungsverfügung vom 19. April 2011 zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2011 das persönliche Erscheinen des Klägers an. Die Ladung wurde diesem persönlich (erst) am 6. Mai 2011 zugestellt.
Mit Faxschreiben vom 9. Mai 2011 beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers, das persönliche Erscheinen aufzuheben, da der Kläger am heutigen 9. Mai seinen ersten Arbeitstag habe und sein Arbeitgeber ihn nicht von der Arbeit am übernächsten Tag freistelle. Der Richter reagierte auf diesen Antrag nicht. Im Termin stellte die (Unter-)Bevollmächtigte des Klägers Befangenheitsantrag, weil es nicht nachvollziehbar sei, dass der Vorsitzende dem Antrag nicht stattgegeben habe.
Soweit die Begründung für den Antrag auf Entbindung von der Pflicht persönlichen Erscheinens für glaubhaft gehalten wird, hatte diese richterliche Anordnung den Kläger einer echten Zwickmühle ausgesetzt. Eine Stattgabe oder eine Terminsaufhebung (falls das persönliche Erscheinen zur Sachverhaltsaufklärung geboten gewesen sein sollte) wäre durchaus in Betracht zu ziehen gewesen. Soweit der Richter, der zum Sachverhalt nur auf den Akteninhalt verwiesen hat, Zweifel in tatsächlicher Hinsicht gehegt haben sollte, wäre ein Hinweis oder eine Antragsablehnung angezeigt gewesen. Durch das Nichteingehen auf den Antrag zur Entbindung vom persönlichen Erscheinen, dessen Begründung nicht von vornherein aus der Luft gegriffen ist, konnte jedenfalls nicht nur rein subjektiv aus Sicht des Klägers, sondern auch objektiv der Eindruck entstehen, der Richter nehme entweder den konkreten Antrag des Klägers und sein dahinter stehendes Anliegen oder jedenfalls die ihm obliegende prozessuale Fürsorgepflicht, auf berechtigte Interessen Rücksicht zu nehmen, nicht ernst.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Fundstellen