Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ordnungsgeldbeschluss. Beschwerdeverfahren. Prüfung der pflichtgemäßen Ermessensausübung durch das Gericht. Ordnungsgeldfestsetzung nach instanzbeendender Entscheidung. erfolgreiche Beschwerde. Kostenentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Prüfung, ob das Gericht sein Ermessen bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegenüber einem Beteiligten pflichtgemäß ausgeübt hat, muss seinem Beschluss zu entnehmen sein, dass es seinen Ermessensspielraum erkannt hat und von welchen Ermessensgesichtspunkten es - unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und des (auch) aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - sowohl im Hinblick auf die Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch auf die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ausgegangen ist.

2. Wenn das Gericht in einem früheren Verfahrensstadium darauf hingewiesen hat, es sei eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt, und/oder wenn das Ordnungsgeld erst nach einer instanzabschließenden Entscheidung festgesetzt wird, sind diese Umstände im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen.

3. Hat die Beschwerde gegen einen Beschluss, durch den gegen einen Beteiligten ein Ordnungsgeld festgesetzt wurde, Erfolg, sind die Kosten des Beschwerdeführers der Staatskasse aufzuerlegen.

 

Orientierungssatz

1. Nach § 18 Abs 1 Nr 3 RVG ist (ua) jedes Beschwerdeverfahren eine "besondere Angelegenheit", die im Verhältnis zur Hauptsache zusätzliche Gebühren für den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt selbst dann auslöst, wenn die Tätigkeit, die den Anlass zu der Beschwerde bildet, durch die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens abgegolten wird.

2. Dies macht - zumindest in (wie hier) gemäß § 183 S 1 SGG kostenprivilegierten Verfahren - eine isolierte Kostenentscheidung erforderlich (vgl BSG vom 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R = SozR 4-1500 § 51 Nr 6; LSG Berlin-Potsdam vom 8.3.2010 - L 5 AS 1114/09 B).

 

Normenkette

SGG § 105 Abs. 1 S. 1, § 111 Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 177, 183 S. 1, §§ 193, 202 S. 1; ZPO § 141 Abs. 3 Sätze 1-2, § 380 Abs. 1 S. 2, § 381 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3, 20 Abs. 3; RVG § 3 Abs. 1 S. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 3; OWiG § 46 Abs. 1; StPO § 467 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 6. Mai 2020 aufgehoben.

Die Staatskasse hat dem Kläger seine im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger wehrt sich gegen ein Ordnungsgeld i.H.v. 200 €.

Mit seiner im Februar 2013 erhobenen Klage wandte sich der Kläger gegen Bescheide der Beklagten, die seinen Antrag auf Übernahme vorweg geltend gemachter Bewerbungskosten i.H.v. 20 € als Darlehen ablehnten. Im November 2014 verfügte das Sozialgericht die Anhörung der Beteiligten zu seiner Absicht, über die Klage durch Gerichtsbescheid (§ 105 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) zu entscheiden. Im Dezember 2014 bzw. März 2015 erklärten sich beide Beteiligte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Die an den Kläger gerichtete Ladung zum Erörterungstermin am 25. Februar 2019 wurde ihm mit Postzustellungsurkunde vom 23. Januar 2019 zugestellt. Der Kläger erschien zu diesem Termin nicht. Ausweislich des Protokolls zu diesem Erörterungstermin gab das Sozialgericht dem Kläger lediglich auf darzulegen, warum er trotz der Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Termin nicht erschienen sei. Hierauf antwortete der Kläger mit Schriftsatz vom 29. Mai 2019: Er habe keine Kenntnis von einem Termin gehabt und sei zudem chronisch krank, sodass eine Teilnahme gesundheitlich ohnehin nicht möglich gewesen wäre; bereits 2014 habe das Sozialgericht hierzu eine ärztliche Bescheinigung erhalten. Außerdem sei die Angelegenheit „aus dem Jahr 2012 (Klage 2014) und längst nicht mehr zutreffend im Jahr 2019“.

Mit Schreiben vom 29. November 2019 fragte das Sozialgericht beim Kläger an, ob sein Schreiben vom 25. (gemeint offensichtlich: 29.) Mai 2019 dahin zu verstehen sei, dass er den Rechtsstreit für erledigt halte.

Mit Verfügung vom 24. Januar 2020 lud das Sozialgericht den Kläger zur mündlichen Verhandlung am 27. März 2020 und ordnete sein persönliches Erscheinen an. Unter dem 25. Februar 2020 verfügte das Sozialgericht, dass der Rechtsstreit am 29. Mai 2019 durch Zurücknahme erledigt worden sei und der Termin zum 27. März 2020 aufgehoben werde. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er die Klage nicht zurückgenommen habe (Schriftsatz vom 27. Februar 2020), lud das Sozialgericht den Kläger unter Anordnung des persönlichen Erscheinens erneut zur mündlichen Verhandlung am 27. März 2020 der umgeladen wurde auf den 4. Mai 2020. In diesem Termin, an dem der Kläger nicht teilnahm, wies das Sozialgericht die Klage ab; die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist im Senat anhängig unter dem Aktenzeichen L 14 AS 1167/20.

Mit Beschluss vom 6. Mai 2020 setzte das Sozialgericht gegen den Kläger ein Ordnungsgeld i.H.v. 200 € fest, weil er der mü...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge