Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Bestellung eines besonderen Vertreters. Prüfung der Prozessfähigkeit von Amts wegen
Leitsatz (amtlich)
Die Bestellung eines besonderen Vertreters gegen den Willen des Klägers setzt zumindest die Erschöpfung der Amtsermittlungspflicht zu Prozessfähigkeit voraus.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2012 wird aufgehoben.
Die Kostenentscheidung bleibt einer Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts, ihr für ein Klageverfahren einen besonderen Vertreter zu bestellen. In der Sache begehrt sie die Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 31. März 2008, den die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2009 dem Grunde nach anerkannt hat. Streitig sind insoweit lediglich die verbliebenen Unfallfolgen und die Frage, ob hieraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grade folgt.
Nachdem das Sozialgericht Berlin zunächst mit Schreiben vom 14. März 2011 die Beteiligten dazu angehört hatte, dass beabsichtigt sei, über die Klage gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, führte es am 12. Juli 2012 von 9:45 Uhr bis 9:55 Uhr einen Erörterungstermin durch, den es abbrach, weil es eine sinnvolle Fortsetzung des Termins im Hinblick auf den Zustand der Klägerin für nicht möglich hielt. Die Klägerin wurde von zwei Wachleuten aus dem Gerichtsgebäude begleitet.
Das Sozialgericht hat anschließend mit Beschluss vom 17. Oktober 2012 der Klägerin für das Verfahren gemäß § 72 Abs. 1 SGG Frau H B als besonderen Vertreter bestellt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, bei der Klägerin sei Prozessunfähigkeit gegeben. Aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse der Klägerin vom 15. Dezember 2008 ergebe sich, dass die Klägerin bereits in der Vergangenheit mehrfach wegen psychischer Erkrankungen (akute vorwiegend wahnhafte psychotische Störungen, paranoide Schizophrenie), die durch Störungen des Denkens und der Wahrnehmung gekennzeichnet seien, arbeitsunfähig krankgeschrieben worden sei. Die behandelnde Ärztin der Klägerin, die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T habe in dem vom Gericht eingeholten Befundbericht vom 16. Dezember 2010 als Diagnose unter anderem ein paranoides Syndrom angegeben. Vor diesem Hintergrund könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit leide und dass dieser Zustand auch zum Ausschluss der freien Willensbestimmung führe. Dafür spreche im Übrigen auch der Eindruck, den der Vorsitzende durch das Auftreten der Klägerin im Erörterungstermin vom 12. Juli 2012 gewonnen habe. Die Klägerin habe in diesem Erörterungstermin fast durchgehend verworrene und inhaltlich nicht verständliche Äußerungen getätigt, die einen Zusammenhang mit ihrer Klage gegen die Berufsgenossenschaft nicht hätten erkennen lassen. Es sei offensichtlich, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Als besonderer Vertreter komme jede natürliche Person in Betracht, z.B. auch die Bekannte der Klägerin Frau H B, von der sich der Vorsitzende im Erörterungstermin einen persönlichen Eindruck habe verschaffen können und die für diese Funktion ohne weiteres geeignet sei.
Gegen den ihr am 20. Oktober 2012 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 15. November 2012 Beschwerde eingelegt und unter anderem ausgeführt, sie benötige keinen besonderen Vertreter, denn sie sei in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst wahrzunehmen. Frau HB sei unter anderem aus Altersgründen nicht in der Lage, ihre (der Klägerin) Interessen wahrzunehmen.
Der Senat hat Frau H B gebeten, eine Kopie ihres Personalausweises zu übersenden. Diese hat daraufhin telefonisch mitgeteilt, dass sie in dem Verfahren der Klägerin nicht tätig sei bzw. sein werde. Sie werde auch keine Kopie ihres Personalausweises übersenden. Sie sei 77 Jahre alt. Ihr Mann sei verstorben. Sie wolle nur noch ihre Ruhe haben. Die Klägerin mache ihr Angst und sie möchte nichts weiter mit der Klägerin zu tun haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen ist.
II.
Die nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist nach § 172 SGG zulässig und zwar unabhängig davon, ob sie prozessfähig ist oder nicht. In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist anerkannt, dass ein Prozessunfähiger für ein Rechtsmittel, mit dem er eine seine Prozessunfähigkeit feststellende Entscheidung angreift, als prozessfähig zu behandeln ist (Leitherer, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, Kommentar 10. Auflage, § 72, Rn 4a).
Die Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht ein...