Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Integrationshelfer für die Teilnahme am Sportunterricht. Einkommens- und Vermögenseinsatz. Sportunterricht. Kontrolle des Blutzuckerspiegels

 

Leitsatz (amtlich)

Die erforderliche Hilfe durch einen Einzelfallhelfer zur Sicherstellung der Teilnahme am Sportunterricht weist die gemäß § 92 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB XII notwendige unmittelbare Verknüpfung mit dem Schulbesuch auf.

 

Normenkette

SGB XII § 53 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 92 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 19 Abs. 3; EinglHV § 12 Nr. 2; SGB IX § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 9. Dezember 2016 geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Kosten eines Einzelfallhelfers für die Antragstellerin mit den Aufgabengebieten Blutzuckermessungen vor und nach dem Sportunterricht, Hilfe bei Unterzuckerungs- oder Überzuckerungssymptomen sowie Interpretation von Blutzuckerwerten, Erkennen und sofortige adäquate Behandlung von Unter- und Überzuckerungen und Anpassung der Kohlehydratmenge bei Diabetes mellitus Typ I für jeweils 15 Minuten vor Beginn des Sportunterrichts bis einschließlich 15 Minuten nach dem Ende des Sportunterrichts ohne Kostenbeitrag der Antragstellerin oder ihrer Eltern zu übernehmen.

Die Verpflichtung beginnt mit dem ersten Schultag der Antragstellerin nach Zugang dieses Beschlusses per Telefax beim Antragsgegner und endet mit dem Ablauf des Schuljahrs 2016/2017, spätestens jedoch mit Eintritt der Bestandskraft eines Bescheides des Antragsgegners bzgl. des geltend gemachten Anspruchs der Kosten eines Einzelfallhelfers.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 9. Dezember 2016, mit dem dieses es abgelehnt hat, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten eines Einzelfallhelfers für das Schuljahr 2016/2017 zu übernehmen, ist zulässig und teilweise begründet. Der Antragstellerin steht der Anspruch in dem aus der Beschlussformel hervorgehenden Umfang zu.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. den § 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫).

Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund, also ein Eilbedürfnis, glaubhaft gemacht. Sie gehört aufgrund des bei ihr diagnostizierten Diabetes mellitus Typ I zum Kreis der behinderten Menschen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) und weitergehend zum Kreis derjenigen, die dem Grunde nach Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53ff SGB XII beanspruchen können (§ 1 Nr. 3 Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch [Eingliederungshilfe-VO]).

Der Anspruch ist auf Hilfen zur angemessenen Schulbildung in Gestalt eines Einzelfallhelfers gerichtet und ergibt sich aus §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit § 12 Nr. 2 Eingliederungshilfe-VO. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen, hier den Eltern der Antragstellerin, die Aufbringung der Mittel für diese Hilfe nicht zuzumuten. Dies ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, wonach die Aufbringung der Mittel bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten ist. Die von der Antragstellerin benötigten Hilfen sind allein behinderungsbedingt und deshalb keine Kosten des Lebensunterhalts.

Wie der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 8. Februar 2016 - Az. L 15 SO 362/15 B ER - und 2. September 2016 - 15 SO 204/16 B ER - (beide nicht veröffentlicht) zu Fällen mit vergleichbarem Sachverhalt ausgeführt hat, weist die erforderliche Hilfe die notwendige unmittelbare Verknüpfung mit dem Schulbesuch auf (siehe zu einem ähnlich gelagerten Fall auch Sozialgericht ≪SG≫ Berlin, Beschluss vom 24. September 2009 - Az. S 47 SO 2142/09 ER -; außerdem Urteil des Bundessozialgerichtes ≪BSG≫ vom 20. September 2012, Az. B 8 SO 15/11 R = SozR 4-3500 § 92 Nr. 1, juris Rn. 21, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ≪BVerwG≫, Urteil vom 10. September 1992 - Az. 5 C 7/87 -, juris Rn. 11). Nach § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahme erforderlich und geeignet ist, dem beh...

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