Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Aufforderung zur Rentenantragstellung durch den Grundsicherungsträger. Anforderungen an die Ermessensausübung bei der Antragstellung anstelle des Grundsicherungsempfängers
Orientierungssatz
1. Die in § 5 Abs 3 S. 1 SGB 2 zugunsten des Grundsicherungsträgers eingeräumte Befugnis zur Stellung von Anträgen auf Leistungen eines anderen Trägers anstelle eines Grundsicherungsempfängers führt im Regelfall zur Pflicht des Grundsicherungsempfängers, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Das in der Vorschrift eingeräumte Ermessen dient dann als intendiertes Ermessen im Wesentlichen dazu, im Einzelfall besonderen Gründen Rechnung tragen zu können, die ein Abweichen vom Regelfall geboten erscheinen lassen.
2. Hat ein Grundsicherungsempfänger das 63. Lebensjahr vollendet und verweigert er das Stellen eines Rentenantrags, so ist der Grundsicherungsträger im Regelfall gehalten, den Rentenantrag anstelle des Grundsicherungsempfängers für diesen zu stellen. Dabei stellt allein der Umstand, dass bei einem vorzeitigen Rentenbeginn Abschläge bei der Höhe der Altersrente in Kauf zu nehmen sind, keinen Grund dar, vom vorzeitigen Rentenbezug abzusehen.
3. Die Aufforderung eines Grundsicherungsträgers an einen Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, einen Rentenantrag zu stellen, ist als Verwaltungsakt zu qualifizieren.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 06. August 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen eine Aufforderung zur Rentenantragsstellung. Die 1950 geborene Antragstellerin steht im Leistungsbezug des Antragsgegners - aktueller Bedarf 845,44 EUR monatlich (391,00 EUR Regelleistungsbedarf und 454,44 EUR Bedarf für Unterkunft und Heizung).
Der Antragsgegner hatte die Antragstellerin bereits im März 2013 aufgefordert, eine Rentenauskunft beizubringen, da eine Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente in Betracht komme. Die Antragstellerin hatte im April 2013 eine vom 04. Januar 2013 datierende Rentenauskunft eingereicht, in der ausgeführt wurde, eine Vollrente (ohne Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung) würde aktuell 817,61 EUR betragen, die Regelaltersrente werde bezogen auf ihren Beginn - 01. März 2016 - ausgehend von der bislang erreichten Rentenanwartschaft 829,24 EUR betragen, für den Fall, dass bis zu diesem Rentenbeginn Beiträge im Durchschnitt der letzten 5 Kalenderjahre gezahlt werden, ergäbe sich eine Rente von 837,53 EUR und unter Annahme eine jährlichen Rentenanpassung mit einem Satz von 1 Prozent eine Rente von etwa 860,00 EUR.Mit Bescheid vom 11. April 2014 hatte der Antragsgegner die Antragstellerin aufgefordert, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Dieser Bescheid wurde nach einem erfolgreichen Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Sozialgericht ≪SG≫ Berlin S), in dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wegen fehlender Ermessensausübung hergestellt wurde, aufgehoben. Der Antragsgegner erließ dann die hier streitige Aufforderung. Zum Ermessen führte er aus, bei dessen Ausübung sei berücksichtigt worden, dass kein Tatbestand der Unbilligkeitsverordnung - die entsprechenden Sachverhalte werden einzeln erwähnt - vorliege, und die Antragstellerin daher verpflichtet sei, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Auch gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Widerspruch. Am 30. Juni 2014 hat die Antragstellerin bei dem SG Berlin die Herstellung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs beantragt. Dies hat das SG Berlin mit Beschluss vom 06. August 2014 abgelehnt. Die insoweit vorzunehmende Interessenabwägung sei zu Lasten der Antragstellerin zu treffen, da nicht ersichtlich sei, dass die Entscheidung des Antragsgegners an Ermessensfehlern leide. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde. Falls sie einen Antrag auf vorzeitige Rente stelle, sei ihr Einkommen geringer als das ihr zustehende Arbeitslosengeld II. Sie sei dann lebenslang auf existenzsichernde Leistungen angewiesen und damit werde jegliche persönliche Entscheidungsfreiheit eliminiert. Soweit der Antragsgegner im ersten Aufforderungsverfahren ausgeführt habe, auch mit einer abschlagsfreien Rente werde sie auf ergänzende Leistungen angewiesen sein, finde sie dies “unfassbar diskriminierend„.
Mit Bescheid vom 07. November 2014 hat der Antragsgegner den Widerspruch zurückgewiesen und ergänzend ausgeführt, die Antragstellerin würde auch bei Bezug einer ungeminderten Altersrente ab Februar 2016 dauerhaft auf die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen sein.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Der gemäß § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die im Bescheid...