Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Wohnungswechsel. vorherige Zusicherung des kommunalen Trägers. schulpflichtiges Kind. Rückzugsmöglichkeit. Produkttheorie
Leitsatz (amtlich)
1. Lebt eine aus zwei Erwachsenen und einem schulpflichtigen Kind bestehende Bedarfsgemeinschaft in einer 2-Zimmer-Wohnung und steht nach den Wohnverhältnissen in ihrer Gesamtheit dem Kind keine ständig eröffnete Rückzugsmöglichkeit offen, ist der Umzug in eine 2,5 bis 3-Zimmer-Wohnung erforderlich und notwendig.
2. Die angemessene Höhe der Kosten der Unterkunft ist als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnfläche und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter zu ermitteln (sog Produkttheorie; ständige Rechtsprechung des BVerwG, zB Urteil vom 28.4.2005 - 5 C 15/04 = DVBl 2005, 1326 mwN). Während sich die angemessene Wohnfläche und Raumzahl nach den jeweils landesrechtlich festgelegten Wohnungsgrößen im sozialen Wohnungsbau richten, die typischerweise den Lebensgewohnheiten unterer Einkommensgruppen entsprechen, kann der angemessene Mietzins - soweit jeweils vorhanden - nach dem örtlichen Miet- und Betriebskostenspiegel bestimmt werden.
Orientierungssatz
1. Die Erteilung der Zusicherung gem § 22 Abs 2 SGB 2 ist keine Anspruchsvoraussetzung, die erfüllt sein muss, um überhaupt einen Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung für eine neu bezogene Wohnung zu begründen. Sie hat insoweit nur die Bedeutung einer Obliegenheit.
2. Wird die Zusicherung gem § 22 Abs 2 SGB 2 nicht erteilt, besteht ein Anspruch auf die gesamten Unterkunftskosten, sofern diese angemessen sind nur, wenn der Umzug erforderlich war. Ansonsten verbleibt es bei den Unterkunftskosten der aufgegebenen Wohnung (§ 22 Abs 1 S 2 SGB 2 idF vom 20.7.2006).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 01. November 2006 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird zur Zusicherung der Übernahme der Mietkosten (ab dem 01. Januar 2007) und zur darlehensweisen Übernahme der Mietkaution (1.115,25 Euro) für die Wohnung Wstr., B verpflichtet.
Die Antragsgegnerin hat die der Antragstellerin entstandenen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller (Ast) zu 1) und 2) (beide 26 Jahre alt) bewohnen mit dem achtjährigen Ast zu 3), dem Sohn der Ast zu 1), der am 26. April 2006 zuzog, eine 2-Zimmer-Wohnung in B (B ). Die Wohnung ist 56,15 m² groß und besteht aus zwei Wohnräumen von je ca. 18 m², einer Küche von ca. 12 m², einem Korridor von mehr als 4 m² und einem Bad von mehr als 5 m² (telefonische Auskunft des Vermieters gegenüber dem Antragsgegner ≪Ag≫). Die Wohnungsmiete ohne kalte Betriebskosten, Heizung und Warmwasser beträgt 299,00 €, für die Betriebskosten wird eine Vorauszahlung von 57,00 € fällig, für Heizung und Warmwasser (Zentralheizung) eine Vorauszahlung von 42,00 € monatlich (Warmmiete = 398,00 € - Mietvertrag vom 08. Juli 2004).
Die Ast stehen als Bedarfsgemeinschaft im Leistungsbezug der Ag, wobei bezüglich der Kosten der Unterkunft (KdU) ein Bedarf von 398,00 € eingestellt ist und - zu gleichen Teilen auf die Ast verteilt - befriedigt wird.
Am 28. September 2006 stellte die Ast zu 1) einen Antrag auf Mietkostenübernahme für die Wohnung B, Wstraße . Es handelt sich um eine 2,5-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 67,59 m², die zu einer Warmmiete von 525,01 € angeboten wird (Nettomiete 371,75 €, Betriebskosten 102,57 €, Heizung 50,69 €). Warmwasser wird über einen elektrischen Durchlauferhitzer erzeugt; das Haus (Baujahr 1972) ist frisch saniert, wobei die Wohnung mit einer neuen Einbauküche und Laminatböden ausgestattet ist und über ein neu gefliestes Wannenbad verfügt (telefonische Maklerauskunft gegenüber dem Berichterstatter). Es wird eine Kaution von drei Nettokaltmieten verlangt. Dazu machte die Ast zu 1) geltend, man lebe in sehr beengten Wohnverhältnissen, der Ast zu 3) gehe jetzt in die 3. Klasse der Grundschule und brauche ein eigenes Zimmer.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2006 und Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2006 (mit dem Widerspruch war geltend gemacht worden, der tatsächliche Wohnraum der derzeitigen Wohnung betrage nur ca. 37 m²) lehnte der Ag die Mietkostenübernahme ab. Diese könne nur erteilt werden, wenn die neue Wohnung angemessen und der Umzug erforderlich sei. An der Erforderlichkeit fehle es; sie sei nur gegeben, wenn die Ast in eindeutig beengten Verhältnissen lebten. Dies könne nach den anzuwendenden Richtlinien (Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin vom 07. Juni 2005 ≪ABl 3743≫, zuletzt geändert mit Verwaltungsvorschriften vom 30. Mai 2006 ≪ABl 2062≫, im Folgenden: AV-Wohnen) nur angenommen werden, wenn drei Personen weniger als zwei Räume und weniger als 50 m² Wohnfläche zur Ve...