Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf häusliche Krankenpflege neben ambulanter Eingliederungshilfe nach dem SGB 12 beim betreuten Wohnen

 

Orientierungssatz

1. Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind nur insoweit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zur Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege verpflichtet, als sie dazu aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung auch in der Lage sind (vgl BSG vom 25.2.2015 - B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13).

2. Ergibt sich aus der ärztlichen Verordnung, dass ein Mitarbeiter der Eingliederungshilfe viermal am Tag bei dem Versicherten in der Wohnung sein müsste, um Augentropfen zu verabreichen, reicht dafür ein bewilligter Umfang der Eingliederungshilfe von sechs Fachleistungsstunden in der Woche nicht aus.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 11. April 2017 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zukunft, längstens bis zum 31. Dezember 2017 bzw. bis zum Ergehen einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen der häuslichen Krankenpflege (Verabreichen von Augentropfen) im Umfang von 4mal täglich, 7mal wöchentlich zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller hat vor dem Sozialgericht Neuruppin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, die Antragsgegnerin zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege zu verpflichten. Er hat eine (aktualisierte) vertragsärztliche Verordnung vom 10. Januar 2017 für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 vorgelegt, wonach 4mal täglich und 7mal wöchentlich eine Medikamentengabe erfolgen soll. Die Verordnung betrifft die Verabreichung von Augentropfen.

Das Sozialgericht Cottbus hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 11. April 2017 zurückgewiesen. Der Antragsteller habe keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin, da die Intensität der verordneten Pflege nicht derart hoch sei, dass nur durch den Einsatz einer Pflegekraft Krankenhausbehandlung vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung erreicht werden könnte. Außerdem seien die Wohnstätte bzw. die Werkstatt ihrerseits verpflichtet, die Leistungen zu erbringen. Zudem sei noch keine Zahlungsaufforderung vorgelegt worden und nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller selbst zu einer Vorleistung nicht in der Lage sei.

Gegen den ihm am 18. April 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 18. Mai 2017 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu verpflichten. Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat es anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Nach diesen Maßstäben durfte das Sozialgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistung nicht ablehnen.

Ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege kann sich nämlich aus § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V ergeben. Bei der (verordneten) Herrichtung und Verabreichung von Medikamenten liegt eine Erscheinungsform der (einfachen) Behandlungspflege vor. Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V an Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie oder an sonstigen “geeigneten Orten„ zu erbringen. Der Antragsteller lebt in einer Wohnung, die ihm von der W GmbH des A Kreisverbandes K W T-F vermietet worden ist. Der A erbringt in dieser Wohnung (auch) Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, die dem Antragsteller durch den Landkreis D-S im Umfang von ca. 6 Fachleistungsstunden in der Woche bewilligt worden sind. Nach der Rechtsprechung des BSG sind betreute Wohnformen nur dann “geeignete Orte„ im Sinne des § 37 Abs. 2 S...

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