Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsausschluss für EU-Ausländer. Anspruch auf vorläufige Leistungsbewilligung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Anspruch auf Sozialhilfe bei Ausschluss eines Grundsicherungsanspruchs. Zulässigkeit der Inanspruchnahme eines Grundsicherungsträgers zur Erbringung von Sozialhilfeleistungen im sozialgerichtlichen Eilverfahren

 

Orientierungssatz

1. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ist auch bei einem EU-Ausländer, sofern ein Hilfebedarf besteht, ein Leistungsanspruch im Rahmen einer Folgenabwägung vorläufig zu gewähren, selbst wenn nicht festgestellt werden kann, dass ein Aufenthaltsrecht nicht lediglich zum Zwecke der Arbeitsuche besteht. Denn insoweit ist auch für Zeiträume nach dem 29. Dezember 2016 davon auszugehen, dass auch bei einem Leistungsausschluss im Hinblick auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende jedenfalls Sozialhilfeleistungen zu erbringen sein könnten und darum hinsichtlich einer vorläufigen Leistungsbewilligung eine Folgenabwägung vorzunehmen ist.

2. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die vorläufige Erbringung von Grundsicherungsleistungen kann der Grundsicherungsträger zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes auch dann zur Leistungserbringung verurteilt werden, wenn statt Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende Sozialhilfeleistungen zu erbringen sind. Der Grundsicherungsträger ist dann insoweit auf einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger zu verweisen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2017 geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 1) für die Zeit vom 1. September 2017 bis zum 31. Januar 2018, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 327,20 € für die Zeit vom 1. September 2017 bis 31. Dezember 2017 und in Höhe von 332,80 € für Januar 2018 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin zu 1) die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1) ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen war sie, ebenso wie die Beschwerde der Antragstellerin zu 2), zurückzuweisen.

Für den Zeitraum ab Antragseingang bis zum 31. Januar 2018, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, ist ein Anordnungsanspruch und auch ein Anordnungsgrund dargetan, soweit die Antragstellerin zu 1), die die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt, Regelleistungen in gesetzlicher Höhe geltend macht, und zwar im tenorierten Umfang, so dass insoweit eine Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu ergehen hatte. Das im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu sichernde Existenzminimum der am 28. Dezember 2014 geborenen Antragstellerin zu 2) ist hingegen bereits durch die im Streitzeitraum erzielten Einkünfte aus Kindergeld iHv 192,- mtl gesichert. Kosten für Unterkunft und Heizung machen die Antragstellerinnen, die nach eigenem Vorbringen “mietfrei„ wohnen, nicht geltend. Der Senat hat den geltend gemachten Regelbedarf iSv § 20 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) nur iHv 80 vH berücksichtigt; er ist nur in diesem Umfang unabweisbar und im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu berücksichtigen (vgl Bundesverfassungsgericht ___AMPX_)_SEMIKOLONX___XBVerfG___AMPX_(_SEMIKOLONX___X, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Mai 2010, L 5 AS 797/10 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. September 2007, L 20 B 75/07 SO ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007, L 7 SO 5672/ 06 B ER). Einen Mehrbedarf iS des § 21 Abs. 3 SGB II hat die Antragstellerin zu 1) nicht geltend gemacht. Er wäre auch nicht unabweisbar. Der unabweisbare Bedarf der Antragstellerin zu 2) ist danach durch den Kindergeldbezug gedeckt, so dass insoweit für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes kein Bedürfnis bestand.

Es bedarf im Übrigen keiner abschließenden Beurteilung, ob einem Anspruch der Antragstellerin zu 1) auf die ausgeworfenen Leistungen nach dem SGB II entgegensteht, dass sich deren Aufenthaltsrecht ggfs (nur) aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und daher der - insoweit wohl auch nach dem seit 29. Dezember 2016 geltenden Recht wirksame (vgl zur alten Rechtslage Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13 R ua - juris; vgl auch seine Rspr bekräftigend BSG, Urteil vom 30. August 2017 - B 14 AS 31/16 R -) - Leistungsausschluss in § 7 Abs....

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