Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Dokumentenpauschale. Erforderlichkeit von Auslagen. Beweislast. Darlegungsanforderungen. Prüfung der Notwendigkeit
Leitsatz (amtlich)
Bezüglich der Erforderlichkeit von Auslagen, zu denen auch die Dokumentenpauschale nach Nr 7000 Nr 1 Buchst a VV RVG (juris: RVG-VV) gehört, enthält § 46 Abs 1 RVG eine Sonderregelung für die Vergütung beigeordneter Rechtsanwälte aus der Staatskasse. Diese begründet eine Beweislast für die Staatskasse, dass Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich waren. Ein Anscheinsbeweis gegen die Erforderlichkeit kann aber die Darlegungs- und Beweislast von der Staatskasse auf den Rechtsanwalt verlagern. Anderenfalls muss die Staatskasse, wenn sie ihre Erstattungspflicht bestreiten will, konkrete Gründe für die aus ihrer Sicht fehlende Erforderlichkeit benennen. Die Prüfung, ob die Auslagen erforderlich waren, ist dann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. August 2017 geändert. Auf die Erinnerung der Antragstellerin wird auch der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 16. Juni 2017 geändert. Die Vergütung der Antragstellerin aus der Landeskasse wird auf 901,37 EUR festgesetzt. Im Übrigen werden die Beschwerde und die Erinnerung zurückgewiesen.
Die Kosten des gebührenfreien Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt als beigeordnete Rechtsanwältin eine höhere Vergütung aus der Landeskasse nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
In dem Ausgangsverfahren S 100 AS 1259/15 erhob der spätere Mandant der Antragstellerin - ein syrischer Staatsangehöriger, der mit seinen fünf Familienangehörigen laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezog - am 19. Januar 2015 zunächst selbständig in der Rechtsantragstelle des Sozialgerichts Berlin eine Klage, die sich gegen einen Bescheid vom 27. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2015 richtete, mit welchem der Grundsicherungsträger von ihm die Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Leistungen in Höhe von 2.110,08 EUR forderte, und zwar mit der Begründung, der Mandant habe die Rechtswidrigkeit der Zahlung jedenfalls grob fahrlässig nicht erkannt. In der Niederschrift des Urkundsbeamten heißt es, dass im Falle einer mündlichen Verhandlung ein Dolmetscher für die kurdische Sprache notwendig sei. Mit einem Schriftsatz vom 25. August 2015 meldete sich die Antragstellerin unter Vorlage einer Vollmacht ihres Mandanten bei dem Sozialgericht und beantragte Prozesskostenhilfe unter ihrer Beiordnung. Dem gab das Sozialgericht durch einen Beschluss vom 21. September 2015 mit Wirkung ab dem 26. August 2015 statt. Nach durchgeführter Akteneinsicht begründete die Antragstellerin die Klage mit einem siebenseitigen Schriftsatz vom 14. Dezember 2015, wobei sie ausführte, ihr Mandant genieße Vertrauensschutz, weil ihm angesichts der Vielzahl von Anträgen und Leistungsbewilligungen - welche die Antragstellerin ausführlich referierte - sowie wegen seiner unzureichenden Kenntnis der deutschen Sprache keine grobe Verletzung seiner Sorgfaltspflicht angelastet werden könne. Auf die Erwiderung des Grundsicherungsträgers gab die Antragstellerin mit einem kurzen Schreiben vom 27. Januar 2016 erneut eine Stellungnahme ab. An der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016, die von 8.30 Uhr bis 9.15 Uhr dauerte, nahm sie in Begleitung ihres Mandanten teil. Auf Veranlassung des Sozialgerichts erschien auch ein Dolmetscher für die kurdische Sprache. Das Sozialgericht wies die Klage mit einem Urteil vom selben Tag ab.
Mit einem Schreiben vom 19. Oktober 2016 hat die Antragstellerin für das Verfahren S 100 AS 1259/15 die folgende Vergütung geltend gemacht:
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Verfahrensgebühr |
Nr. 3102 VV RVG |
390,00 EUR |
Terminsgebühr |
Nr. 3106 VV RVG |
364,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale |
Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Dokumentenpauschale für 451 Ablichtungen |
Nr. 7000 VV RVG |
85,15 EUR |
Zwischensumme |
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859,15 EUR |
Umsatzsteuer |
Nr. 7008 VV RVG |
163,24 EUR |
Gesamtbetrag |
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1.022,39 EUR |
Die Antragstellerin hat hierbei rechtsanwaltlich versichert, dass die geltend gemachten Auslagen während der Beiordnung entstanden sind. Die gefertigten Ablichtungen hat sie zunächst nicht eingereicht.
Die Kostenbeamtin der Geschäftsstelle hat mit Schreiben vom 21. Oktober 2016 erwidert, gegen die Bemessung der Verfahrensgebühr bestünden keine Einwände. Hierbei werde auch die Vorbereitung des Termins berücksichtigt. Die Terminsgebühr sei jedoch bei einer Terminsdauer von 45 Minuten als durchschnittlich anzusehen. Besondere Schwierigkeiten bei der Durchführung des Termins seien nicht zu erkennen. Hinsichtlich der geltend gemachten Dokumentenpauschale fehle es an einem Nachweis der Notwendigkeit. Der Rechtsanwalt müsse sein Ermessen ausüben und dürfe nicht kurzerhand die ge...