Entscheidungsstichwort (Thema)
einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Verfassungsmäßigkeit von § 9 Abs 2 S 2 SGB 2 nF. Einkommensberücksichtigung. keine Absetzung von freiwilligen Ratenzahlungen
Leitsatz (amtlich)
Auch im Aussetzungsverfahren nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG muss eine Gesetzesvorschrift (hier: § 9 Abs 2 S 2 SGB 2 nF) von den normanwendenden Instanzen beachtet werden, solange sie nicht autoritativ verbindlich für ungültig erklärt worden ist; die Missachtung des Gesetzesbefehls durch Nichtanwendung der Rechtsnorm im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes steht in Widerspruch zu Art 20 Abs 3 und Art 97 Abs 1 GG.
Orientierungssatz
Freiwillige Ratenzahlungen zur Tilgung nicht titulierter Schulden können nicht vom Einkommen eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft abgesetzt werden. Ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft muss sein Einkommen für die Mitglieder einsetzen, auch wenn er sich dadurch außerstande setzt, bestehende vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 21.6.2006 - L 29 B 314/06 AS ER).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. Januar 2007 aufgehoben.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 27. November 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 31. Januar 2007.
Die 1971 geborene und seit 1996 verwitwete Antragstellerin zu 1. lebt mit ihrer 1991 geborenen Tochter, der Antragstellerin zu 2., und ihrem Lebenspartner D C (im Folgenden: C.) zusammen in einer Drei-Zimmer-Wohnung in B-R. Die Warmmiete beträgt 528,70 Euro. C. ist seit dem 1. November 2006 arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld in Höhe von 48,96 Euro täglich. Die Antragstellerin zu 1. bezog bis zum 28. Februar 2006 ebenfalls Arbeitslosengeld; ihr Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II war unter dem Aspekt der Anrechnung des Einkommens des C. zwischen den Beteiligten umstritten.
Ein für die Zeit ab Juni 2006 geführtes Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes (SG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2006, S 34 AS 5741/06 ER, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2006, L 14 B 718/06 AS ER) hatte insoweit Erfolg, als die Antragstellerin zu 1. die Zahlung weiterer 1.042,48 Euro für die Monate Juni und Juli 2006 beanspruchen konnte, weil der Antragsgegner es versäumt hatte, einen diesbezüglichen Bewilligungsbescheid vom 10. März 2006 aufzuheben. Für die Zeit ab August 2006 bestätigten die Gerichte eine fehlende Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin zu 1. wegen des anrechenbaren Einkommens des C.
Mit - nach Lage der Akten bestandskräftigem - Bescheid vom 12. Juli 2006 bewilligte der Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. August 2006 bis zum 31. Januar 2007 in Höhe von 298,23 Euro monatlich. Laut Berechnungsbogen wurde für die Antragstellerin zu 1. ein Bedarf von 345 Euro (Regelleistung) sowie von 176,24 Euro (Kosten der Unterkunft, ein Drittel der Warmmiete) zugrunde gelegt, zusammen 521,24 Euro. Aufgrund der Anrechnung des seinerzeitigen Erwerbseinkommens des C. ergab sich für die Antragstellerin zu 1. kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Der Anspruch für die Antragstellerin zu 2. in Höhe von 298,23 Euro errechnete sich aus dem Bedarf in Höhe von 276 Euro (Regelleistung) zuzüglich 176,23 Euro (ein Drittel der Warmmiete) abzüglich 154 Euro Kindergeld; Einkommen des C. wurde insoweit nicht angerechnet.
Mit Bescheid vom 17. November 2006 (ein hiergegen am 27. November 2007 erhobener Widerspruch ist nach Lage der Akten noch nicht beschieden) hob der Antragsgegner seine Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ab dem 1. Dezember 2006 ganz auf. Mit dem Inkrafttreten der Neufassung von § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II am 1. August 2006 sei auch das Einkommen von Partnern (hier: des C.) auf den Bedarf aller zur Bedarfsgemeinschaft zählenden Kinder anzurechnen, selbst wenn es sich nicht um gemeinsame Kinder handele.
Ein hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin am 27. November 2006 angestrengtes Eilverfahren hatte Erfolg. Mit Beschluss vom 8. Januar 2007 hat das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 17. November 2006 angeordnet und den Antragsgegner zur Auszahlung der Leistungen für Dezember 2006 und Januar 2007 verpflichtet. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, zwar bestehe bei Anwendung der Neufassung von § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II kein Anspruch mehr auf Leistungen nach dem SGB II, weil das Einkommen des C. ausreiche, um den Bedarf beider Antragstellerinnen zu decken. § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II neuer Fassung sei jedoch verfassungswidrig, so dass der Aufhebungsbescheid vom 1...