Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung bei einem Ausländer, der sich lediglich zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhält

 

Orientierungssatz

1. Lässt sich ein Aufenthaltsrecht eines Ausländers allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, so greift der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2.

2. Eine Europarechtswidrigkeit dieser Regelung ist nicht erkennbar. Der Ausschlusstatbestand ist insbesondere mit der EGV Nr. 883/2004 und mit Art. 24 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG vereinbar, vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R.

3. Weil eine Europarechts- bzw. Völkerrechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 nicht erkennbar ist, ist für eine Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung kein Raum. Die Nichtanwendung der Ausschlussregelung würde letztlich eine unzulässige Durchbrechung des Prinzips der Gewaltenteilung bedeuten, vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 2005 - 1 BvQ 2/05.

4. Im Übrigen würde im einstweiligen Verfahren gewährter Rechtsschutz regelmäßig zu einer umfassenderen Leistungsgewährung führen, als in einem Hauptsacheverfahren durchsetzbar wäre. Dies würde in der Praxis letztlich zu einem regelmäßigen Leistungserhalt führen, weil einerseits vielfach ein Hauptsacheverfahren überhaupt nicht anhängig gemacht wird, andererseits gewährte Leistungen regelmäßig nicht zurück zu erlangen sind.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juli 2013 geändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird in vollem Umfang abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen begehren im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1987 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre 2006, 2010 und 2011 geborenen Töchter, die Antragstellerinnen zu 2) bis 4), sind bulgarische Staatsbürgerinnen. Die Antragstellerinnen zu 1) bis 3) sind im Besitz vom Bezirksamt Neukölln von Berlin am 23. November 2012 nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU ausgestellter Freizügigkeitsbescheinigungen.

Am 22. Januar 2013 beantragten die Antragstellerinnen bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Im Rahmen der Antragstellung gab die Antragstellerin zu 1) an, sie habe den Antrag gestellt, weil sie kein Einkommen habe außer Kindergeld, von dem sie bisher gelebt habe. In den letzten zwei Jahren habe sie keine Beschäftigung ausgeübt. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. Februar 2013 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II ab.

Am 20. Juni 2013 beantragten die Antragstellerinnen erneut Leistungen bei dem Antragsgegner nach dem SGB II. Nunmehr behauptete die Antragstellerin zu 1), sie gehe seit dem 1. September 2010 einer selbständigen Tätigkeit als Hilfsarbeiterin nach. Sie legte eine Gewerbeanmeldung bei dem Bezirksamt Neukölln vom 24. August 2009 vor, nach der Sie zum 1. September 2010 eine Tätigkeit anmeldete für “Raufasertapete kleben und überstreichen, Gartenarbeit, Abriss, Gartenarbeit, Trockenbau„. Der Antragsgegner forderte daraufhin Belege für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit mit Schreiben vom 24. Juni 2013, woraufhin er die Erklärungen erhielt, dass in den Jahren 2012 und 2013 aus der Tätigkeit keine Einkünfte erzielt worden seien, da keine Aufträge angenommen worden seien. Mit Bescheid vom 4. Juli 2013 lehnte daraufhin der Antragsgegner erneut den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II wegen des gesetzlichen Leistungsausschlusses ab. Die behauptete selbständige Tätigkeit liege nicht vor; es werde nach den Angaben der Antragstellerin zu 1) tatsächlich keine Erwerbstätigkeit ausgeübt.

Bereits am 2. Juli 2013 beantragten die Antragstellerinnen bei dem Sozialgericht Berlin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den Antragsgegner zur fortlaufenden Bewilligung der Kosten für Unterkunft und Heizung zu verpflichten und zudem Mietrückstände ab Januar 2013 in Höhe von monatlich 620 € “sowie die Kaution„ als Darlehen zu übernehmen.

Während des Gerichtsverfahrens beantragten die Antragstellerinnen mit anwaltlichem Schriftsatz gegenüber dem Gericht vom 5. Juli 2013 die Überprüfung des Bescheides vom 19. Februar 2013 nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und die Bewilligung von Leistungen ab Januar 2013, da § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II gegen Europarecht verstoße. Eine Kontogutschrift für die Antragstellerin zu 1) vom 1. November 2012 über 12.276 € resultiere aus einer Kindergeldnachzahlung und der Betrag sei verwendet worden für die Wohnung (Maklerprovision, Miete, Mietschulden, Einrichtungsgegenstände) und die Begleichung weiterer Schulden.

Das Sozialgericht Berlin hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 15. Juli 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragst...

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