Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermächtigung. sachlich-rechtliche Richtigstellung. Rückforderung von Honorar. Anhörungserfordernis. Akteneinsicht in staatsanwaltliche Ermittlungsakten. Kassenärztliche Vereinigung. Honorarberichtigung. Nachweis der unrichtigen Abrechnung. Aufnahme in den Honorarbescheid. Nachholung einer unterlassenen Anhörung
Leitsatz (amtlich)
1.) Die sachlich-rechnerische Richtigstellung eines Honorarbescheides erfordert, dass die KV dem Arzt für jedes Quartal, für das sie das Honorar richtig stellen will, zumindest eine unrichtige Abrechnung in der Abrechnungs-Sammelerklärung nachweist.
2.) Der Nachweis setzt grundsätzlich voraus, dass die Antragsgegnerin die von ihr ermittelte, fehlerhafte Abrechnung nach Leistungsart und Abrechnungsziffer bezeichnet und zusammen mit den gegebenenfalls erforderlichen Beweismitteln und Tatsachen, aus denen sich ein Verschulden des betroffenen Arztes ergibt, in den Honorarbe-richtigungsbescheid aufnimmt.
3.) Zum Recht einer KV auf Einsichtnahme in staatsanwaltliche Ermittlungsakten.
4.) Zur Nachholung einer unterlassenen Anhörung.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 190.875,61 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 85 Abs. 4 Satz 9 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) kraft Gesetzes ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers (vgl. dazu Beschlüsse des Senats vom 31. Januar 2006, L 7 B 1046/05 KA ER und vom 7. Mai 2007, L 7 B 97/06 KA ER, jeweils zitiert nach juris) gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 13. und 27. Juli 2010, mit denen diese die dem Antragsteller erteilten Honorarbescheide für die Quartale I/2005 bis IV/2009 aufgehoben, das dem Antragsteller für diese Zeit zustehende Honorar auf 0 € festgesetzt und das ihm gewährte Honorar vollständig in Höhe von 381.751,22 € zurückgefordert hat, rechtsfehlerfrei angeordnet. Denn bei der nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG für diese Entscheidung durchzuführenden Abwägung der Interessen der Beteiligten ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin der Vorrang einzuräumen, weil sich die angefochtenen Bescheide sowohl materiell als auch formell als rechtswidrig erweisen; an der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Bescheide besteht jedoch kein besonderes öffentliches Interesse. Daher konnte auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben.
1.) Die Antragsgegnerin war im vorliegenden Fall auf der Grundlage der bekannten Tatsachen gemäß § 45 Abs. 2 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV Ä) bzw. § 34 Abs. 4 Ersatzkassenvertrag Ärzte (EKV-Ä) i.V.m. § 82 Abs. 1 SGB V bzw. § 106a SGB V sowie nach § 45 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 i.V.m. § 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) nicht berechtigt, die streitige Honorarberichtigung vorzunehmen und das dem Antragsteller in der streitigen Zeit für vertragsärztliche Leistungen gewährte Honorar vollständig zurückzuverlangen. Zwar berechtigen die genannten Vorschriften die Antragsgegnerin zur Rücknahme unrichtiger und damit rechtswidriger Honorarbescheide und zur Rückforderung zu Unrecht gezahlten Honorars. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen ein ermächtigter Arzt Leistungen abgerechnet hat, die nicht von ihm selbst, sondern von einem nicht genehmigten Assistenten oder Vertreter erbracht worden sind; denn eine solche Vorgehensweise macht die auf einer entsprechenden Abrechnung beruhenden Honorarbescheide sachlich-rechnerisch unrichtig, was zur Honorarberichtigung und Rückforderung grundsätzlich ausreicht.
a) Für die Frage, ob eine Honorarabrechnung unrichtig erstellt und abgegeben und der auf ihr beruhende Honorarbescheid deshalb ebenfalls unrichtig, d.h. rechtswidrig, ist, hat die Erklärung des Vertragsarztes über die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung der geltend gemachten Leistungen eine grundlegende Bedeutung. Die an sich für jede einzelne Leistungsabrechnung gebotene Erklärung des Arztes über die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung dieser Leistung wird aufgrund der den Vertragsarzt bindenden Bestimmungen untergesetzlichen Rechts durch eine sog. Abrechnungs-Sammelerklärung ersetzt. Nach §§ 35 Abs. 2, 42 Abs. 3 BMV-Ä, §§ 34 Abs. 1, 35 EKV-Ä ist die Abgabe einer - ordnungsgemäßen - Abrechnungs-Sammelerklärung eine eigenständige Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs des Vertragsarztes auf Vergütung der von ihm erbrachten Leistungen. Mit ihr garantiert der Vertragsarzt, dass die Angaben auf den von ihm eingereichten Abrechnungen zutreffen. Diese Garantiefunktion ist gerade wegen der aufgrund des Sachleistungsprinzips im Vertragsarztrecht auseinande...