Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung. Qualifikationsgruppe. Prognoseentscheidung bei der fiktiven Bemessung des Arbeitslosengeldes
Orientierungssatz
1. Die fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 132 Abs. 1 SGB 3 und deren nähere Ausgestaltung nach Abs. 2 verstößt weder gegen Verfassungs- noch gegen Gemeinschaftsrecht.
2. Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose derjenigen Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, welche für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat.
3. Damit sind nur diejenigen Tätigkeiten für die fiktive Bemessung relevant, mit denen der Arbeitslose bestmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden kann.
4. Eine längere Abwesenheit vom erlernten Beruf führt nicht automatisch zum Verlust der entsprechenden Qualifikation. Hat der Arbeitslose aber in den letzten Jahren seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nur noch Tätigkeiten im un- bzw. angelernten Bereich ausgeübt, so ist er in der Qualifikationsgruppe 4 des § 132 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB 3 einzustufen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. August 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe des der Klägerin für die Zeit ab 18. Juli 2006 gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg).
Die 1965 geborene Klägerin beendete im polnischen K im Juni 1984 eine Ausbildung in der Gemeinschaft der Berufsgrundschulen für Weber im Fach Maschinen- und Handweber (Abschlusszeugnis der Berufsgrundschule vom 15. Juni 1984). Vom 21. August 1985 bis 21. Januar 1989 war sie - mit Ausnahme eines unbezahlten Urlaubes vom 01. Juni 1988 bis 21. Januar 1989 - als Krankenschwester des P beschäftigt (Arbeitszeugnis vom 21. Januar 1989). Nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland absolvierte die Klägerin vom 20. Januar 1992 bis 26. Juni 1992 einen Deutsch-Kurs an der Volkshochschule des Bezirksamtes N . Vom 01. Februar 2001 bis 12. Februar 2001 war die Klägerin als Dolmetscherin/ Sozialberaterin bei der B e. V. versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Bezug von Krankengeld bewilligte die Beklagte der Klägerin sodann vom 13. August 2002 bis 31. März 2003 Alg nach einem wöchentlichen gerundeten Bemessungsentgelt von 740,- €. Nach einer selbstständigen Tätigkeit der Klägerin vom 01. April 2003 bis einschließlich 30. September 2003 mit Überbrückungsgeldbezug gewährte die Beklagte erneut Alg vom 01. Oktober 2003 bis 09. Oktober 2003 (Anspruchserschöpfung) und Anschluss-Arbeitslosenhilfe vom 10. Oktober 2003 bis 31. Dezember 2004. Vom 01. Januar 2005 bis 19. Januar 2005 war die Klägerin als Büroangestellte versicherungspflichtig beschäftigt. Nach erneutem Krankengeldbezug bis einschließlich 17. Juli 2006 meldete sich die Klägerin mit Wirkung vom 18. Juli 2006 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 21. August 2006 Alg für die Zeit ab 10. August 2006 für die Dauer von 240 Tagen in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 23,23 € (tägliches Bemessungsentgelt = 49,- €; Lohnsteuerklasse III). Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin einen früheren Leistungsbeginn geltend und wandte sich zudem gegen die Höhe des bewilligten Alg. Mit Änderungsbescheid vom 12. Oktober 2006 gewährte die Beklagte nunmehr Alg bereits für die Zeit ab 18. Juli 2006 (Arbeitslosmeldung) für 240 Tage in unveränderter Höhe. Den Widerspruch der Klägerin im Übrigen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2006 zurück mit der Begründung, dass als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen sei, weil ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht habe festgestellt werden können. Die Klägerin sei insoweit der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen, da für die in Polen gemachten Abschlüsse in Deutschland keine Anerkennungen vorliegen würden. Auf eine Beschäftigung als Weber könnten sich die Vermittlungsbemühungen nicht erstrecken, da ein nennenswerter Arbeitsmarkt nicht vorhanden sei. Mit Bescheid vom 1. März 2007 bewilligte die Beklagte, nachdem eine zuvor verlautbarte Aufhebung der Alg-Bewilligung für die Zeit ab 24. Februar 2007 (Bescheid vom 22. Februar 2007) ihrerseits von der Beklagten aufgehoben worden war (Bescheid vom 9. März 2007), Alg ab 24. Februar 2007 für die Restanspruchsdauer von 23 Tagen (bis 16. März 2007) in unveränderter Höhe.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von höherem Alg ab 18. Juli 2006 gerichtete Klage mit Urteil vom 04. August 2009 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höheres Alg ab 18. Juli 2006. Da die Klägerin im erweiterten Bemessungsrahmen vom 18. Juli 2...