Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des alleinerziehenden Grundsicherungsberechtigten auf Anerkennung eines Mehrbedarfs
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfs bei Alleinerziehung haben nach § 21 Abs. 3 SGB 2 Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, wenn sie u. a. mit einem Kind unter sieben Jahren zusammenleben. Entscheidend ist, ob eine andere Person in erheblichem Umfang bei der Pflege und Erziehung des Kindes mitwirkt (BSG Urteil vom 3. 3. 2009, B 4 AS 50/07 R).
2. Solche besonderen Lebensumstände werden darin gesehen, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihr Kind weniger Zeit dafür haben, preiswert einzukaufen sowie zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen. Für die Gestaltung einer hälftigen Aufteilung der Pflege und Erziehung zwischen den Eltern im sog. Wechselmodell ist der Mehrbedarf auf die Hälfte der ausdrücklichen Leistung begrenzt (BSG a. a. O.).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 14. April 2020 aufgehoben, soweit das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet hat, der Antragstellerin einen mehr als hälftigen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II zu gewähren. Insoweit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners hat - soweit hiermit der Beschluss des Sozialgerichts (SG) Neuruppin vom 14. April 2020 angefochten worden ist - teilweise Erfolg. Insofern war der Beschluss aufzuheben und der noch allein anhängige Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Soweit sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde vom 8. Mai 2020 nicht mehr gegen die einstweilige Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Sohn der Antragstellerin, dem vormaligen Antragsteller zu 2., sowie gegen die Gewährung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung insgesamt wendet, hat der Beschluss des SG materielle Rechtskraft erlangt (vgl. § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG analog). Soweit sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde ausdrücklich nur noch gegen seine Verpflichtung wendet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 31. März 2021, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu gewähren, handelt es sich zwar nicht um einen eigenständigen, von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abtrennbaren Streitgegenstand; die Gewährung eines Mehrbedarfs kann nicht in zulässiger Weise - mithin auch nicht mit der Beschwerde - zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (stRspr., vgl. BSG, Beschluss vom 10. Februar 2020 - B 14 AS 21/19 BH u.a. - juris Rn. 10; BSG, Urteile vom 29. April 2015 - B 14 AS 8/14 R - juris Rn. 12 und vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 30/13 R - juris Rn. 12 jeweils m.w.N.). Nach entsprechender Auslegung des Beschwerdebegehrens wendet sich der Antragsgegner indes sinngemäß gegen die Verpflichtung zur Gewährung von über den Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 hinausgehenden, höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an die Antragstellerin, und zwar in Höhe des Mehrbedarfs für Alleinerziehende (vgl. insofern BSG, Urteil vom 11. Juli 2019 - B 14 AS 23/18 R - juris Rn. 8). Insofern ist die Beschwerde zulässig (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGG) und teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen in Bezug auf den Streitgegenstand zur Regelung eines vorläufigen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile zulässig. Der Gesetzgeber hat auf eine beispielhafte Aufzählung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung verzichtet, weil dem Gericht ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien eine Einzelfallentscheidung obliegt (vgl. BTDrucks. 14/5943, S. 25). Damit begrenzt der Gesetzgeber den einstweiligen Rechtsschutz nicht auf die Beeinträchtigung bestimmter formaler Rechtspositionen, sondern verlangt eine wertende Betrachtung im konkreten Einzelfall. Entsprechend haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Verfahren des Eilrechtsschutzes zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der Zielsetzung des anzuwendenden Rechts, hier der §§ 7 Abs. 1, 2 Satz 1 und Abs. 3, 9, 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II zu prüfen, welche wesentlichen Nachteile dem jeweiligen Antragsteller im konkreten Einzelfall drohen. Insofern ist im Rahmen einer - vorliegend auch zu Recht vom SG vorgenommenen - wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sons...