Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung. Subsidiarität der Feststellungsklage. Rechtsschutzbedürfnis. Zusicherung. Erforderlichkeit eines Umzugs
Leitsatz (redaktionell)
Eine Feststellungsklage ist nur dann statthaft, wenn der Kläger sein Begehren nicht mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Dieser Grundsatz gilt auch für den vorläufigen Rechtsschutz.
Normenkette
SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 86b Abs. 2 S. 2; SGB II § 22 Abs. 2 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2008 geändert.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin keine Kosten zu erstatten.
Der Antragstellerin wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S E, B beigeordnet.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2008 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss hält der Überprüfung nicht stand.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Unabhängig vom Ziel des Antrags müssen die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen grundsätzlich vorliegen. Dies ist hier nicht der Fall. Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.
Dem von der Antragstellerin formulierten Antrag entspräche in der Hauptsache eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Mit ihr kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass das Begehren nicht mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgt werden kann (Subsidiarität der Feststellungsklage, ständige Rechtsprechung: BSGE 43, 150; 46,81; 57, 184; 58, 153; BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006, B 10 LW 4/05 R). Bereits daran fehlt es hier, denn die Feststellung der Erforderlichkeit des Umzugs allein bringt die Antragstellerin ihrem eigentlichen Ziel, ihre Wohnsituation zu verändern, nicht wesentlich näher. Ihr Begehren ist letztlich auf die Erteilung einer Zusicherung im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gerichtet. Daraus, dass die richtige Klageart dementsprechend die Verpflichtungsklage wäre, folgt die Unzulässigkeit einer Feststellungsklage. Für den Feststellungsantrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gilt nichts anderes, zumal auch nicht erkennbar ist, dass es für die bloße Feststellung der Erforderlichkeit eines Umzugs einen Anordnungsgrund geben könnte. Ohne einen weiteren Antrag und anschließend eine weitere Entscheidung des Antragsgegners, nämlich über die Frage der Angemessenheit einer konkret in Aussicht genommenen neuen Unterkunft, kann die Antragstellerin mit der begehrten gerichtlichen Feststellung nichts erreichen.
Soweit der Senat in dem von der Antragstellerin zitierten Beschluss vom 15. Dezember 2006 (L 5 B 1147/06 AS ER) Ausführungen zur ausnahmsweisen Zulässigkeit einer Elementenfeststellungsklage gemacht hat, werden diese in ihrer Allgemeinheit nicht aufrechterhalten. Im Übrigen unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem der damaligen Entscheidung zugrunde liegenden dadurch, dass durch eine antragsgemäße Entscheidung der zwischen den Beteiligten bestehende Streit nicht in Gänze erledigt würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Antragstellerin hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren, weil das Rechtsmittel vom Antragsgegner eingelegt worden ist (§§ 73 a SGG, 119 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Fundstellen