Entscheidungsstichwort (Thema)
einstweilige Anordnung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Einreise zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Freizügigkeit. Europarechtskonformität -Diskriminierungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1. Beruht das Aufenthaltsrecht eines Staatsangehörigen von Litauen allein auf dem Zweck der Arbeitsuche, hat er gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2.
2. Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses bestehen bei vorläufiger Prüfung im Eilverfahren nicht.
Orientierungssatz
1. Das Diskriminierungsverbot gem Art 12 EG gilt nicht vorbehaltlos. Eine unterschiedliche Behandlung von Unionsbürgern ist zulässig, wenn sie durch objektive Gründe sachlich gerechtfertigt ist (vgl EuGH vom 23.1.1997 - C-29/95 = NZV 1997, 234 und vom 2.10.1997 - C-122/96 = NJW 1997, 3299).
2. Art 18 EG gewährleistet jedem Unionsbürger zwar grundsätzlich Freizügigkeit, gewährt indes keinen Leistungsanspruch gegen die öffentliche Hand iS eines Teilhaberechts von Unionsbürgern an soziale Vergünstigungen des Aufenthaltsstaates (vgl SG Reutlingen vom 29.4.2008 - S 2 AS 2952/07; LSG Darmstadt vom 3.4.2008 - L 9 AS 59/08 B ER = NVwZ-RR 2008, 624).
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2008, mit dem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2008, mit dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, aufgehoben.
Dem Antragsteller wird für beide Instanzen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S E, T, B, gewährt.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsteller, der litauischer Staatsangehörigkeit ist, einen Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) hat.
Der 1980 geborene Antragsteller zog nach eigenen Angaben erstmals im September 2000 als Tourist aus Litauen nach Deutschland. Zwischen 2001 und 2006 übte er - auch in Holland - Gelegenheitsarbeiten aus. Am 4. Februar 2005 meldete er sich polizeilich in B an. Am gleichen Tag wurde ihm auch eine Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) erteilt. Im August 2005 mietete er eine eigene Wohnung unter der aus dem Rubrum ersichtlichen Anschrift. Abgesehen von einer dreitägigen Probearbeit in einer Berliner Gaststätte, für die er von April bis August 2007 als Selbständiger das Gewerbe “Serviceleistung im Gastronomiebereich„ angemeldet hatte, übte der Antragsteller keine weitere Tätigkeit aus. Zur Erläuterung gab er an, von Freunden unterstützt worden zu sein. Seit dem 4. Februar 2008 ist er im Besitz einer unbefristet gültigen Arbeitsberechtigung-EU gemäß § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III).
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2007 lehnte der Antragsgegner den am 20. September 2007 gestellten Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab. Zur Begründung hieß es, dass der Antragsteller vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei, da sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Dieser Bescheid ist Gegenstand eines Klageverfahrens bei dem Sozialgericht Berlin (S 119 AS 32541/07).
Am 2. Mai 2008 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Mit Beschluss vom 30. Mai 2008, dem Bevollmächtigen zugestellt am 11. Juni 2008, hat das Sozialgericht Berlin den Antrag abgelehnt. Es bestehe kein Anordnungsanspruch. Der Antragsteller sei zwar auch als Ausländer erwerbsfähig, weil ihm eine Arbeitsberechtigung erteilt worden sei. Er sei aber nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, da er ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten könne. Er habe weder einen Arbeitnehmerstatus erworben, noch sei er niedergelassener selbständig Erwerbstätiger. Er halte sich auch noch nicht seit fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland auf. Zweifel an der Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit europäischem Recht habe die Kammer nicht. Wegen der fehlenden Erfolgsaussicht des Antrages sei auch die Bewilligung von PKH abzulehnen.
Hiergegen hat der Antragsteller am 20. Juni 2008 unter Verweis auf seine bisherigen Ausführungen Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, dass ein Ausschluss von EU-Bürgern vom Leistungsbezug mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 12 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) und der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht vereinbar sei.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2008 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der ...