Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Absetzung von notwendigen Ausgaben zur Einkommenserzielung. Bezug von Schüler-BAföG. Werbungskosten
Leitsatz (amtlich)
Bei zur Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 6 SGB 2 zählenden BAföG-Empfängern sind die Kosten für Schulgeld und die Fahrtkosten zum Schulbesuch notwendige Ausgaben iS des § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB 2.
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2007 wird der Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 2.) ab 01. März 2007 vorläufig bis 31. Mai 2007 Leistungen in Höhe von 321,10 € (statt 216,--€) monatlich zu zahlen. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Zum Sachverhalt verweist der Senat auf die Darstellung in den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts Berlin (SG) vom 5. Februar 2007.
Das Aktivrubrum war zu ändern. Gegenstand des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist bei sachgerechter Auslegung des erstinstanzlich geltend gemachten Begehrens der Antrag der in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerin zu 2) auf Gewährung von höheren Leistungen nach dem Zweiten Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - des Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Antragstellerin zu 1) kann als Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft nicht im eigenen Namen die Ansprüche der Antragstellerin zu 2) mit einer Klage oder, wie im vorliegenden Verfahren, mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgen. Jedes Mitglied muss vielmehr seine Ansprüche im eigenen Namen geltend machen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. November 2006 - L 7b AS 8/06 R - und bereits Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 102/06 - ). Die Bevollmächtigung des Antragstellers zu 1) für das vorliegende Verfahren konnte dabei unterstellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Hier ist nur die Behandlung von Einkommen der Antragstellerin zu 2.) im Streit. Eine Senkung des bei der Antragstellerin zu 2.) anzurechnenden Einkommens führt nach § 9 Abs. 2 SGB II nur zu einer Erhöhung ihrer Hilfsbedürftigkeit. Ihre Mutter erhält nämlich bereits jetzt ihren Gesamtbedarf aus Arbeitslosengeld II-Leistungen gedeckt.
Die zulässige Beschwerde vom 19. Februar 2007, der das SG nicht abgeholfen hat, ist teilweise begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Hierfür sind grundsätzlich das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erforderlich.
Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird, die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
Hier besteht ein Anordnungsanspruch. Der Antragsgegner hätte die BaföG-Zahlungen für die Antragstellerin zu 2) nicht nur in Höhe von 20% (als zweckbestimmt speziell für Ausbildungskosten nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch [SGB II]) abziehen dürfen. Nach (vorläufiger) Auffassung des Senats stehen nämlich den BaföG-Einnahmen (im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II) notwendige Ausgaben nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II entgegen (im Ergebnis anders, aber ohne Prüfung des § 11 Abs. 2 SGB II: LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 23.10.2006 -L 19 B 599/06 AS ER):
Es besteht ein Kausalzusammenhang: BaföG-Förderung wird nur für den Schulbesuch gewährt, § 2 Abs. 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG). Hier ist Voraussetzung für den Schulbesuch die Zahlung des geschuldeten Schulgeldes. Ohne Schulgeldzahlung gäbe es keine BaföG-Förderung. Um BaföG - berechtigt zu sein, muss die Antragstellerin die Schule auch besuchen, wodurch ihr Fahrtkosten entstehen, weil die Schule nicht in fußläufiger Entfernung von der Wohnung ist. Die Förderung von 192,-- €, wird damit bis auf (zur Zeit) 18,50 € monatlich nahezu vollständig vom Schulgeld in Höhe von 125,-- € und den Kosten der Monatskarte von 48,50 € aufgezehrt.
Die Auffassung des Antragsgegners im Widerspruchsbescheid, § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II beträfe nur Einkommen aus Erwerbstätigkeit, lässt sich der Norm nicht entnehmen, ohne dass diese Anlass zur Auslegung gäbe. Das Gegenteil (Abzug für Werbungskosten für alle Arten von Einnahmen) ergibt sich ferner aus § 11 Abs. 2 Nr. 6 und Abs. 2 Satz 2 SGB II, die speziell für die Teilgruppe aller Einnahmenempfänger der Erwerbstätigen einen zusätzlichen Abzug fordern beziehungsweise einen Grundfreibetrag...