Entscheidungsstichwort (Thema)

Folgen einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts

 

Orientierungssatz

Eine Belehrung, die anstelle des statthaften Rechtsbehelfs (Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Antrag auf mündliche Verhandlung) auch einen anderen fristgebundenen Rechtsbehelf nennt, gilt als nicht ergangen. Dies gilt auch bei einem rechtskundigen Rechtsmittelführer, der unzutreffend über das gegebene Rechtsmittel belehrt worden ist, wenn er sich entsprechend der ihm erteilten Belehrung verhält. Hat er von seinem in der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung genannten Wahlrecht, nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGG mündliche Verhandlung zu beantragen, Gebrauch gemacht, so ist der ergangene Gerichtsbescheid aufzuheben. Das Sozialgericht ist verpflichtet, die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen. Der ergangene Gerichtsbescheid gilt dann nach § 105 Abs. 3 SGG als nicht ergangen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 14. Mai 2019 aufgehoben.

 

Gründe

I.

Mit ihrer am 4. Oktober 2013 beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25. April 2012 (S 55 AS 9238/12) beantragt, ihr unter Aufhebung des vorläufig ergangenen Bescheids vom 24. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ‚in gesetzlicher Höhe‘ für die Zeit ab dem 1. Juni 2013 zu gewähren.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Juli 2017 hat das SG die Klage unter Verweis auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Mai 2013 abgewiesen und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juli 2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12 und 1 BvR 1691/13) wegen Nichterreichens des Wert) sowie der Bedarfsberechnung des Beklagten und die von ihm vorgenommene Einkommensabsetzung lasse der angefochtene Bescheid keine Rechtsfehler erkennen und habe im Hinblick auf das wechselnde Einkommen der Klägerin auch vorläufig ergehen dürfen. Der Regelbedarf i.H.v. 382,00 € monatlich (§ 22 Abs. 2 SGB II) und die Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 383,69 € monatlich (§ 22 Abs. 1 SGB II) seien umfassend berücksichtigt worden und auch die Absetzung von Einkommen i.H.v. 569,00 € monatlich (§§ 11, 11b SGB II) sei ordnungsgemäß erfolgt. Ein Mehrbedarf sei nicht anzuerkennen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 SGB II nicht vorlägen. Das SG hat eine Rechtsmittelbelehrung ‚Berufung gegeben‘ beigefügt.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 31. Juli 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 25. August 2017 Berufung eingelegt und gleichzeitig mündliche Verhandlung beantragt. Gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfe (PKH)-Beschluss hat er Beschwerde eingelegt.

Die Verfahren wurden beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) unter den Az. L 25 AS 1937/17 und L 25 AS 1938/17 B PKH registriert.

Mit Beschlüssen vom 24. Mai 2018 hat der 25. Senat des LSG den Antrag auf Bewilligung von PKH für das Berufungsverfahren abgelehnt und die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH im Gerichtsbescheid des SG vom 19. Juli 2017 mangels Erreichens des Beschwerdewertes (§ 172 Abs. 3 Nr. 2b Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) als unstatthaft verworfen. Das Gericht habe mangels bezifferten Berufungsantrags der Klägerin den Gegenstandswert ermitteln oder anhand des wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits schätzen müssen (§ 202 SGG i.V.m. § 3 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Streitgegenstand dürfte nunmehr allein der Bescheid vom 30. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Februar 2014 über die endgültige Festsetzung von Leistungen für den genannten Zeitraum sein, der den ursprünglich von der Klägerin angefochtenen, vorläufigen Bescheid vom 24. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 gem. § 96 Abs. 1 SGG ersetzt haben dürfte (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 13/14 R, Juris). Bei Zugrundelegung der Angaben der Klägerin sowie unter Berücksichtigung von Differenzen beim anzurechnenden Einkommen dürfte der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 € nicht übersteigen. Bezüglich der Ermittlung des Gegenstandswertes wird auf die ausführlichen Ausführungen im Beschluss vom 24. Mai 2018 verwiesen und Bezug genommen. Auch die geäußerten Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des gesetzlichen Regelbedarfs dürften nicht dazu führen, dass die Leistungen nicht bezifferbar seien und die Berufung nach der Grundregel des § 143 SGG zulässig sei, denn das vollständige Absehen von jeder Bezifferung führe nicht automatisch zur Zulässigkeit der Berufung. Dass die Berufung auch deshalb unzulässig sein dürfte, weil der Gerichtsbescheid wegen des zugleich mit der Berufung gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 3 SGG als nicht ergangen gelten dürfte, sei hier nicht mehr entscheidungserheblich. ...

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