Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Freizügigkeit. Europarechtskonformität
Orientierungssatz
Der Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist auf Unionsbürger nicht anzuwenden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2012 aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragsteller zu 1) und 2) gegen die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem 1. April 2012 in dem Bescheid des Antragsgegners vom 27. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2012 wird angeordnet.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller zu 3) vorläufig ab dem 1. Mai 2012 bis zum 31. Juli 2012, längstens bis zu einer Entscheidung des Sozialgerichts in dem dort anhängigen Klageverfahren S 203 AS 5872/12 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Sozialgeld) zu erbringen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die ihnen entstandenen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Der Antrag der Antragsteller, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Rechtsanwalt M G beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Die zulässige (§§ 172 Abs. 1, 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), insbesondere nicht durch § 172 Abs. 3 Nr. 1 SG ausgeschlossene Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.
Auf den verständig zu würdigenden Antrag der Antragsteller zu 1) und 2) ist die - nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) entfallende - aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern inzwischen (am 10. April 2012) beim Sozialgericht erhobenen Anfechtungsklage (S 203 AS 5872/12) gegen die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem 1. April 2012 in dem Bescheid vom 27. Februar 2012 anzuordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Ihnen sind mit dem Bescheid vom 10. Februar 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs (Regelbedarf) nicht lediglich vorläufig, sondern endgültig bewilligt worden. Als Grund für die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung hat der Antragsgegner angegeben (§ 328 Abs. 1 Satz 2 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB III] i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II), dass über den Anspruch auf Kindergeld für den Antragsteller zu 3) noch nicht entschieden worden sei. Die Bewilligung von Kindergeld für den Antragsteller zu 3) kann sich jedoch nur auf dessen Leistungsanspruch auswirken, so dass die Entscheidung allenfalls insoweit vorläufig sein kann; im Übrigen ist sie endgültig. Folgerichtig hat der Antragsgegner diese (aus seiner Sicht von Anfang an rechtswidrige) Entscheidung nach § 45 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) zurückgenommen. Diese Rücknahme der Bewilligung erscheint rechtswidrig, so dass das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes hinter dem der Antragsteller an dem Bestand der zurückgenommenen Bewilligung von Leistungen zurückbleibt.
Dem Antragsteller zu 3) sind Leistungen hingegen nur vorläufig bewilligt worden. Im Hinblick darauf ist die als “Aufhebung„ (bzw. “Rücknahme„) bezeichnete Entscheidung in dem Bescheid vom 27. Februar 2012, soweit sie sich an den (gesetzlich durch den Antragsteller zu 1) vertretenen) Antragsteller zu 3) richtet, als endgültige, ablehnende Entscheidung über dessen Anspruch für die Zeit ab dem 1. April 2012 zu verstehen. Vorläufiger Rechtsschutz ist deshalb insoweit durch eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu gewähren (vgl. hierzu Sächsisches LSG, Beschluss vom 10. September 2009 - L 7 AS 414/09 B ER -).
Soweit der Antragsgegner die (endgültige) Bewilligung von Leistungen gegenüber den Antragstellern zu 1) und 2) zurückgenommen hat bzw. zurücknehmen wollte, stellt sich bereits die Frage, ob der Antragsgegner der Antragstellerin zu 2) eine entsprechende Entscheidung (Verwaltungsakt) überhaupt bekanntgegeben hat; denn der Bescheid vom 27. Februar 2012 ist lediglich an den Antragsteller zu 1) gerichtet, der zwar - zusammen mit der Antragstellerin zu 2) - den Antragsteller zu 3), nicht aber die Antragstellerin zu 2) gesetzlich vertritt; die Vermutung, dass er auch die Antragstellerin zu 2) als Bevollmächtigter vertritt (§ 38 Abs. 1 SGB II), gilt für die Rücknahme von Bewilligungen nicht.
Zudem ist nicht erkennbar, dass die Antragsteller zu 1) und 2) vor dem Erlass des Bescheids vom 27. Februar 2012 zu der beabsichtigten Rücknahme der Bewilligung angehört worden sind, wie dies § 24 Abs. 1 SGB X vorschreibt. Dass der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid dann ausführt, “entscheidungsrelevante Gründe (seien von den Antragstellern nicht) vorgetragen (worden)„, kann mit Fug als zynisch empfunden werden. Ob dieser Mangel ...