Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung wegen Parallelverfahrens beim LSG. Sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Zur Befugnis des SG, einen Rechtsstreit aus prozessökonomischen Gründen auszusetzen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Aussetzungsbeschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. Juni 2014 aufgehoben.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. Juni 2014, mit dem das Sozialgericht den vorliegenden Rechtsstreit, in dem es um Einbehalte auf Grund von Verträgen zur integrierten Versorgung gemäß § 140d Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) im Kalenderjahr 2006 geht, bis zum Abschluss des bei dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg anhängigen Verfahrens L 24 KA 22/14 ausgesetzt hat, in dem zwischen anderen Beteiligten u.a. über dieselbe Rechtsfrage gestritten wird, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet.
1.) Eine Aussetzung nach § 114 SGG kommt nicht in Betracht. § 114 SGG regelt die Aussetzung bei familien- oder erbrechtlichen Vorfragen (§ 114 Abs. 1 SGG), bei Vorgreiflichkeit der gerichtlichen Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines bestehenden Rechtsverhältnisses im Rahmen eines anderen Rechtsstreits (§ 114 Abs. 2 Satz 1 SGG), zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern (§ 114 Abs. 2 Satz 2 SGG) und bei Verdacht einer strafbaren Handlung, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist (§ 114 Abs. 3 SGG). Keiner dieser Fälle ist vorliegend gegeben. Insbesondere ist der Rechtsstreit vor dem 24. Senat des LSG Berlin- Brandenburg für die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht vorgreiflich, sondern nur ein Parallelverfahren mit einer anderen Klägerin (der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg) und einem Streit über dieselbe Rechtsfrage.
Die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit hängt deshalb nicht vom Bestehen oder Nichtbestehen eines “Rechtsverhältnisses„ ab, das Gegenstand des genannten Verfahrens vor dem 24. Senat des LSG Berlin-Brandenburg ist. Die insoweit notwendige Vorgreiflichkeit setzt voraus, dass sich für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit eine “Vorfrage„ stellt, die Gegenstand des anderen Rechtsstreits ist. Nicht ausreichend ist, wenn sich in dem anderen Verfahren die gleiche Rechtsfrage stellt, weil die Beantwortung einer Rechtsfrage kein Rechtsverhältnis i.S. des § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG darstellt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Februar 2009 - 2 A 7/06 -, juris RdNr 34).
2.) Das Verfahren ist auch nicht in analoger Anwendung des § 114 Abs. 2 SGG auszusetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) findet § 114 Abs. 2 SGG in eng umgrenzten Fällen entsprechende Anwendung. Durch die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens soll unter anderem verhindert werden, dass die obersten Gerichtshöfe des Bundes und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle befasst werden, ohne dass dies der Klärung eines vorgreiflichen Problems dient. Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Aussetzung des Verfahrens ist deshalb, zumal es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, dass alle Erwägungen ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend für die Aussetzung sprechen. Das kann etwa der Fall sein, wenn wegen der streiterheblichen Frage beim BVerfG oder einem anderen Bundesgericht ein Normenkontrollverfahren, eine Verfassungsbeschwerde bzw. ein Revisionsverfahren bereits anhängig ist, nicht zu erwarten steht, dass weitere Vorlagen bzw. Rechtsmittel die Entscheidung des BVerfG oder des anderen Bundesgerichts beeinflussen können, und mit der Entscheidung des BVerfG/des anderen Bundesgerichts in absehbarer Zeit zu rechnen ist (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 1. April 1992 - 7 Rar 16/91 -, juris). Hier ist weder beim BVerfG noch einem anderen Bundesgericht ein Parallelverfahren anhängig; eine Ausdehnung der Rechtsprechung des BSG auf Berufungs- und Beschwerdegerichte auf Landesebene ist nicht angezeigt. Denn diese entscheiden regelmäßig nicht abschließend über das Parallelverfahren. Außerdem lässt sich nicht feststellen, dass die Entscheidung im vorliegenden Rechtstreit die Entscheidung des LSG beeinflussen könnte und schließlich ist in dem erst seit März 2014 beim LSG anhängigen Rechtsstreit L 24 KA 22/14 auch nicht in absehbarer Zeit mit einer Entscheidung zu rechnen. In einem solchen Fall vermögen deshalb auch prozessökonomische Gründe eine Aussetzung nicht zu rechtfertigen.
3.) Letztlich ist die Entscheidung des Sozialgerichts auch deshalb aufzuheben, weil sie keine Ermessensentscheidung erkennen lässt. Soweit die Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 SGG in direkter oder analoger Anwendung vorliegen, darf das Sozialgericht den Rechtsstreit nicht ohne weiteres aussetzen, sondern hat in Ausübung seines Ermessens abzuwägen, ob die Aussetzung unter Beachtung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten und eines rationellen Einsatzes der gerichtlichen Ressourcen zw...