Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
Orientierungssatz
1. Das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ist bis zur Verkündung des Urteils statthaft. Das geschieht mit dem Verlesen der Urteilsformel.
2. Ein Ablehnungsgesuch hat auf eine erforderliche Protokollberichtigung keinen Einfluss. Die Berichtigung ist eine unvertretbare Verfahrenshandlung; sie steht in der ausschließlichen gesetzlichen Kompetenz der mit der Protokollierung befassten Gerichtsperson.
Tenor
Das Gesuch des Klägers, die Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird als unzulässig verworfen.
Gründe
Gemäß § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Allerdings ist ein solches Ablehnungsgesuch nur zulässig, wenn der abgelehnte Richter noch mit dem Rechtsschutzbegehren des Rechtsschutzsuchenden aktuell befasst ist. Der Antrag wird hingegen unzulässig, wenn der abgelehnte Richter nicht mehr mit der Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren bzw. über dessen Bearbeitung befasst ist; in diesem Falle ist das Ablehnungsgesuch prozessual überholt.
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Die vom Kläger behauptete Besorgnis der Befangenheit der Richterin kann sich auf den Rechtsstreit nicht mehr auswirken. Denn das Sozialgericht hat in der öffentlichen Sitzung vom 24. April 2006 ein Urteil verkündet. Durch dieses Urteil, das nach § 132 Abs. 2 Satz 1 SGG allein mit Verlesen der Urteilsformel wirksam geworden ist, ist das erstinstanzliche Verfahren beendet worden. Das Urteil ist von diesem Zeitpunkt an nicht mehr abänderbar, sondern ausschließlich mit dem zulässigen Rechtsmittel angreifbar. Ein Gesuch auf Richterablehnung gerichtet auf das Ziel, die abgelehnte Richterin an einer weiteren richterlichen Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern, kommt deshalb nicht mehr in Betracht. Das Ablehnungsgesuch, das der Kläger ohnehin erst angebracht hat, nachdem er Anträge zur Sache gestellt hat (vgl. aber § 43 ZPO), ist damit unzulässig.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Richterablehnung folgt auch nicht daraus, dass vorliegend noch eine Entscheidung über die Berichtigung des Protokolls zu erfolgen hat. Die Verantwortlichkeit für den Protokollinhalt nach §§ 163, 164 Zivilprozessordnung (ZPO), auf die in § 122 SGG Bezug genommen wird, ist ausschließlich den dort bestimmten Teilnehmern der Sitzung übertragen, also der abgelehnten Richterin und dem zur Protokollierung hinzugezogenen Urkundsbeamten. Damit ist die Berichtigung als unvertretbare Verfahrenshandlung in alleiniger gesetzlicher Kompetenz der mit der Protokollierung befassten Gerichtspersonen gekennzeichnet (Peters in: Münch-Komm/ZPO, 2. Auflage, § 164 Rdnr. 11; Zöller-Stöber, ZPO, 25. Auflage, § 164 Rdnr. 11). Die Entscheidung über den Antrag auf Ablehnung hätte im Streitfall bei begründeter Ablehnung der Richterin also zur Folge, dass die im erstinstanzlichen Verfahren noch anstehende Protokollberichtigung überhaupt nicht mehr möglich wäre. Ist aber bei Begründetheit des Ablehnungsgesuchs eine weitere richterliche Tätigkeit im Verfahren überhaupt ausgeschlossen, so besteht an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch kein Rechtsschutzinteresse (vgl. Landessozialgericht [LSG] Berlin, Beschluss vom 11. April 2005 - L 1 A 7/05- und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. April 2006 - L 1 SF 47/06 - unter Bezugnahme auf Bundesfinanzhof [BFH] BFHE 157, 494 und BFH Beschluss vom 18. März 1997, Az: VII B 147/96, BFH/NV 1997, 775).
Entsprechendes gilt wegen des von der abgelehnten Richterin noch zu bearbeitenden Antrages auf Tatbestandsberichtigung. Bei der Entscheidung nach § 139 SGG dürfen ausdrücklich nur die (Berufs-)Richter mitwirken, die beim Urteil mitgewirkt haben (vgl. § 139 Abs. 2 Satz 3 SGG). Für ein Ablehnungsgesuch ist aus den vorstehend dargelegten Gründen in diesem Zusammenhang mithin kein Raum.
Da das Befangenheitsgesuch unzulässig war, brauchte eine Anhörung der Beteiligten zur dienstlichen Äußerung der Richterin, die erklärt hatte, sie halte sich nicht für befangen, vor der Entscheidung des Senats nicht zu erfolgen (Zöller-Vollkommer, aaO, § 46 Rdnr. 3).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Fundstellen