Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Anti-D-Immunprophylaxe. Anspruch auf Einmalzahlung nach Ablauf der bis 31.12.2000 laufenden Antragsfrist. verspäteter Antrag. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bei Pflichtverletzung der zuständigen Versorgungsbehörde. Pflicht zur gesonderten Information der betroffenen Frauen über die Entschädigungsmöglichkeit. keine Publizitätswirkung bei ministeriellem Übereinkommen zwischen Bund und Ländern
Orientierungssatz
1. Hat eine Frau, die durch eine Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis-C-Viren infiziert worden ist, keinen Antrag auf Anerkennung nach dem BSeuchG gestellt, kann sie dennoch nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sein, als ob sie die Anerkennung nach dem BSeuchG rechtzeitig beantragt hätte.
2. Nachdem der Bund und die Länder zur Vermeidung unbilliger Härten überein gekommen sind, auch denjenigen Frauen, die infolge der Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden, aber nicht nach dem SeuchG entschädigt worden waren, über die Übergangsbestimmungen des Einigungsvertrages (juris: EinigVtr) hinaus nach dem BSeuchG zu entschädigen, oblag es dem zuständigen Versorgungsträger, die hiervon betroffenen Frauen gesondert über die Möglichkeit dieser Entschädigung zu unterrichten (so auch BSG vom 10.12.2003 - B 9 VJ 2/02 R = BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1).
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juni 2012 aufgehoben sowie der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2009 verurteilt, an die Klägerin eine Einmalzahlung nach dem AntiDHG in Höhe von 6.135,50 Euro zu leisten und den Betrag von 6.135,00 Euro ab dem 1. Februar 2001 mit vier vom Hundert zu verzinsen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Rechtsstreits zu vier Fünfteln zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Einmalzahlung und einer Rente für den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 30. April 2005 nach dem Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (Anti-D-Hilfegesetz, AntiDHG).
Die 1957 geborene Klägerin erhielt am 16. November 1978 im Zusammenhang mit einer in den Krankenanstalten P durchgeführten Interruptio ein Anti-D-Immunserum der Charge Nr. 090578, das mit Hepatitis-C-Viren kontaminiert war. Die Hepatitis-C-Erkrankung der Klägerin wurde ihren Angaben zufolge nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (GüK) der DDR als Impfschaden anerkannt. Entschädigungsleistungen erhielt sie seinerzeit nicht.
Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde, um unbillige Härten zu vermeiden, aufgrund einer Bund-Länder-Vereinbarung in analoger Anwendung der Übergangsbestimmungen des Einigungsvertrages (Anlage I Kapitel X Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 3 lit. c) der Kreis der betroffenen Personen, die nicht nach dem GüK-DDR entschädigt worden waren, in die Entschädigung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) einbezogen. Hierüber informierte der Beklagte Mitte der neunziger Jahre die Frauen, die als Empfängerinnen der kontaminierten Anti-D-Immunseren von den damaligen Kreishygiene-Inspektionen erfasst worden waren. Er schrieb 1997 auch die Klägerin an, erhielt jedoch den Brief als unzustellbar zurück, da sie inzwischen den Familiennamen ihres Ehemannes angenommen hatte und verzogen war. Einen Antrag auf Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz stellte die Klägerin nicht.
Die Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 4. Mai 2005 die Gewährung einer Einmalzahlung und einer Versorgungsrente nach dem am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen AntiDHG.
Der Beklagte erkannte mit Bescheid vom 15. März 2007 “chronische Hepatitis C mit gering entzündlicher Aktivität„ als Schädigungsfolge an und gewährte der Klägerin mit Wirkung ab 1. Mai 2005 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 v.H.
Die Leistung einer E i n m a l z a h l u n g lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2009 ab. Hiergegen hat die Klägerin sich mit ihrer Klage bei dem Sozialgericht Berlin - zuletzt zum Az. S 199 VJ 203/09 - gewandt.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 11. Juni 2012 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Die Ablehnung der Einmalzahlung durch den Beklagten sei rechtmäßig, da die Klägerin hierauf keinen Anspruch habe. Zwar gehöre sie zum Kreis der nach dem Anti-DHG berechtigten Personen, jedoch habe sie die die Leistung erst im Mai 2005 beantragt und damit die bis zum 31. Dezember 2000 laufende Antragsfrist des § 3 Abs. 3 Sa...