Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage ohne vorprozessuale Geltendmachung der Verzögerungsentschädigung. hohe Kosten für den Entschädigungskläger bei sofortigem Anerkenntnis durch das beklagte Land. Bedauern des beklagten Landes in der Klageerwiderung als Teilanerkenntnis. unangemessene Verfahrensdauer. Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren als ein eigenständiges Gerichtsverfahren. Angemessenheitsprüfung. materiell-rechtlicher Bezugsrahmen. untergeordnete Bedeutung nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Vorbereitungs- und Bedenkzeit. 3 Monate für Kostenfestsetzungs- oder PKH-Vergütungsverfahren. 12 Monate für Erinnerungsverfahren. nachträgliches Kostenverfahren bei obsiegenden PKH-Empfängern. Widerlegung der Vermutung eines immateriellen Nachteils. Kosteninteresse des Rechtsanwalts nicht ausreichend
Leitsatz (amtlich)
§§ 198 ff GVG idF des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV - juris: ÜberlVfRSchG)
Das Kostenfestsetzungsverfahren samt sich anschließendem Erinnerungsverfahren stellt ein selbständiges Verfahren iSd § 198 Abs 6 Nr 1 GVG dar.
Für ein Kostenfestsetzungsverfahren steht den Gerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von in der Regel drei Monaten, für ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren von regelmäßig zwölf Monaten zur Verfügung.
Ein Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren ist nach Erledigung des Hauptsacheverfahrens für die Beteiligten regelmäßig von nur untergeordneter Bedeutung. Es ist eine klare Differenzierung geboten, in wessen Person welche immateriellen Nachteile eingetreten sind, die eine Entschädigungszahlung rechtfertigen könnten (Anschluss an: BSG vom 10.7.2014 - B 10 ÜG 8/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 2 - RdNr 31 und vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 40 ff, juris).
Wird einem Kläger im Klageverfahren Prozesskostenhilfe gewährt und im Folgenden der Beklagte zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten verurteilt, kommt einem sich anschließenden, im Namen des Klägers geführten Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren für diesen überhaupt keine Bedeutung zu. In dieser Fallkonstellation ist der nach § 198 Abs 2 S 1 GVG vermutete Eintritt eines immateriellen Nachteils regelmäßig als widerlegt anzusehen.
Orientierungssatz
1. Das beklagte Land, an das vorprozessual nicht wegen eines Anspruchs auf Verzögerungsentschädigung herangetreten worden ist, hat eine Entschädigungsklage nicht veranlasst und kann deshalb mit einem "sofortigen Anerkenntnis" nach § 156 VwGO iVm § 197a SGG die Verfahrenskosten auf den Entschädigungskläger abwälzen und die Entschädigungsklage für diesen kostspielig machen (hier im Hinblick auf den "kleinen Entschädigungsanspruch" auf gerichtliche Feststellung der Überlänge).
2. Bringt das beklagte Land in seiner Klageerwiderung sein Bedauern über die auch aus seiner Sicht unangemessene Verfahrensdauer zum Ausdruck und erklärt der Entschädigungskläger daraufhin die Feststellung der Verfahrensüberlänge für erledigt, ist nach sachgerechter Auslegung von einem angenommenen Teilanerkenntnis auszugehen.
3. Eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 3 Monaten gilt nach Ansicht des Senats auch für Prozesskostenhilfevergütungsverfahren (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 17.2.2021 - L 37 SF 55/20 EK AS und vom 17.2.2021 - L 37 SF 156/20 EK SF).
4. Der materiell-rechtliche Bezugsrahmen der Angemessenheitsprüfung nach § 198 Abs 1 S 2 GVG (vgl BSG vom 24.3.2022 - B 10 ÜG 4/21 R = BSGE 134, 32 = SozR 4-1720 § 198 Nr 21) erstreckt sich nur auf ein Gerichtsverfahren iSd § 198 Abs 6 Nr 1 GVG und somit nicht auf Kostenverfahren und Hauptsacheverfahren zusammen.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerinnen begehren eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) unter dem Aktenzeichen S 30 SF 237/16 E geführten Erinnerungsverfahrens in Höhe von insgesamt 3.600,00 €.
Die beiden Klägerinnen wandten sich - vertreten durch ihren jetzigen Bevollmächtigten - in dem vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) unter dem Aktenzeichen S 13 AS 1490/12 geführten Verfahren im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen eine von einem Jobcenter gegen sie erhobene Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 61,25 €. Mit Beschluss vom 02. Dezember 2014 bewilligte ihnen das Sozialgericht in diesem Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten. Mit Urteil vom 02. Oktober 2015 gab es der Klage statt und legte dem Jobcenter die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen auf.
Am 22. Oktober 2015 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerinnen in deren Namen die Festsetzung der Kosten auf 982,76 €. Am 17. März 2016 bestätigte das Sozialgericht ihm den Eingang, leitete dem Jobcenter das Schreiben zur Kenntnisnahme, ggfs. Stellungnahme, zu ...