Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsförderung. Forderungseinzug im Auftrag des Grundsicherungsträgers. Übertragungsbeschluss der Trägerversammlung. Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen. Mahnungen. Vollstreckungseinstellung. Zuständigkeit des Auftraggebers für Erlass von Widerspruchsbescheiden. Erstattungsforderung gemäß § 328 Abs 3 SGB 3. Verjährungsfrist. Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren. Zulässigkeit der Unterlassungsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für den Erlass von Widerspruchsbescheiden ist auch bei einer Aufgabenübertragung nach § 44b Abs 4 SGB II das Jobcenter zuständig.

2. Erstattungsforderungen nach § 328 Abs 3 SGB III verjähren nach 30 Jahren.

3. Da das SGG - anders als die ZPO (§§ 732, 766, 767, 768, 771-774) - für die Verwaltungsvollstreckung keine spezifisch auf das Vollstreckungsrecht ausgerichteten Klagearten bereit hält, muss Rechtsschutz anhand des allgemeinen prozessualen Instrumentariums des SGG im Rahmen seiner allgemeinen Verfahrensgrundsätze gewährt werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.12.2022; Aktenzeichen B 7/14 AS 25/21 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 geändert. Die Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1/10 zu tragen. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen Maßnahmen, die die beklagte Bundesagentur für Arbeit - jeweils durch die Agenturen für Arbeit Bochum oder Recklinghausen - im Rahmen des Forderungseinzugs im Auftrag des beigeladenen Jobcenters vorgenommen hat.

Der Beigeladene setzte gegen die nicht ehelich zusammenlebenden Kläger im Rahmen von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden (im Folgenden vereinfachend: Erstattungsbescheide) diverse (Rückzahlungs-)Forderungen fest, bezüglich deren Zahlung die Beklagte - mit Ausnahme des Schreibens vom 24. Mai 2019 ausschließlich den Kläger erinnerte bzw. mahnte. Die Einzelheiten stellen sich nach den Zahlungserinnerungen (E) bzw. der Mahnung (M) der Beklagten wie folgt dar:

Bescheid-datum

Betroffener Zeitraum

ursprüngliche Rückforderung in €

noch offener Betrag in € (incl. Mahngebühren)

Datum der Erinnerung / Mahnung

9.8.17

1.2.-31.7.12

2.045,11

1.373,70

5.3.19 (E)

10./12.8.10

1.-31.7.10

59,48 

64,48 

14.5.19 (M)

22.12.10

1.-31.12.10

9.8.17

1.2.-31.7.12

3.777,77

2.303,45

24.5.19 (E)

26.5.17

1.-28.2.17

26.5.17

1.2.-31.7.14

26.5.17

1.2.-31.7.14

1.-28.2.17

1.609,05

806,67

9.7.19 (E)

Bezüglich der Erstattungsforderungen für die Monate Juli und Dezember 2010, die der Beigeladene auf § 328 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gestützt hatte, hatte die Beklagte unter dem 1. März 2011 und 14. August 2011 den Kläger gemahnt und Mahngebühren festgesetzt.

Die Mahnung vom 14. Mai 2019, mit der die Beklagte gegenüber dem Kläger auch eine Mahngebühr von 5.- € festgesetzt hatte, „hob“ sie im Laufe des Berufungsverfahrens „auf“ (Schriftsatz vom 27. Oktober 2020).

Den Antrag der Kläger vom 14. Juni 2019 auf Überprüfung „des Bescheides 26.05.17 und 09.08.17“ wies der Beigeladene mit Bescheid vom 5. August 2019, bestätigt durch den nicht angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2019, zurück.

Die Beklagte sah in den gegen die Zahlungserinnerungen vom 5. März 2019 und 9. Juli 2019 gerichteten Schreiben der Kläger Widersprüche, die sie mit den - nur an den Kläger gerichteten - Widerspruchsbescheiden vom 12. September 2019 (W-37501-12191/19 bzgl. des Schreibens vom 9. Juli 2019 und W-37501-12190/19 bzgl. des Schreibens vom 5. März 2019) als unzulässig verwarf.

Mit ihrer „Klage gegen das Schreiben der Agentur für Arbeit Bochum […] vom 12.09.2019, GZ: […] W-37501-12190/19 gegen die Zahlungserinnerung/Aufforderung v. 05. März 2019“, der neben den beiden o.g. Widerspruchsbescheiden auch die o.g. Mahnung vom 14. Mai 2019 und die o.g. Zahlungserinnerung vom 24. Mai 2019 beigefügt waren, haben die Kläger u.a. wörtlich vorgebracht: „Die Summen variieren (2.303.-) ständig. Siehe Schreiben von JC v. 25.05.2019. Andere Schreiben liegen mir hierfür nicht vor. Es ist von zwischen 2012 - 2017 Leistungsanspruch. Keine Rückzahlungspflicht bei zu später Rückforderung SG Gießen Az: S 22 AS 629/13.“ Sie bezögen sich „auf die Mahnungen bzw. Aufhebung der Leistungen vom Jobcenter […] (teilweise Aufhebungen)“, die sie dem Sozialgericht „im letzten Schreiben (vom September 2019 oder früher)“ geschickt hätten. Die „Rückzahlungen“ seien verjährt.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Dezember 2019 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

Gegenstand der Klage seien die Zahlungserinnerungen vom 5. März und 9. Juli 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. September 2019, welche die Klägerin nicht beträfen, sodass ihre Klage unzulässig sei. Die Schreiben vom 14. und 24. Mai 2019 hätten die Kläger nur zur Erläuterung der variierenden Su...

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