Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorrangige Sozialleistungen. Pflicht zur Beantragung vorzeitiger Altersrente. Unbilligkeit. sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesfreiwilligendienst. Erwerb einer Anwartschaft auf Arbeitslosengeld. kein Anspruchsverlust mangels Arbeitslosengeldbezug. Bundesfreiwilligendienst keine Beschäftigung im Sinne der UnbilligkeitsV

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mit § 2 UnbilligkeitsV erfasst wird die Konstellation, dass ein Leistungsberechtigter Arbeitslosengeld I nach dem SGB III bezieht, auf das er für eine bestimmte Dauer und in bestimmter Höhe einen eigentumsrechtlich geschützten Anspruch hat, und ergänzend dazu - aufstockend - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhält. Unbilligkeit liegt also erst bei Bezug von Arbeitslosengeld I vor, nicht schon bei Erwerb einer Anwartschaft.

2. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 4 UnbilligkeitsV wird beim Bundesfreiwilligendienst nicht ausgeübt. Zwar unterliegt ein Bundesfreiwilligendienst der Sozialversicherungspflicht. Es handelt sich bei ihm jedoch nicht um eine Beschäftigung im Sinne der UnbilligkeitsV.

 

Normenkette

UnbilligkeitsV §§ 1-3, 4 S. 2, § 5; SGB II § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 2a, § 5 Abs. 3 S. 1, § 7 Abs. 4 S. 1, § 12a Sätze 1, 2 Nr. 1, § 13 Abs. 2, § 65 Abs. 4 Sätze 2-3; SGB III § 156 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; SGB IV § 7 Abs. 1 S. 1, § 8 Abs. 1; SGB VI § 33 Abs. 2 Nr. 2, §§ 36, 99 Abs. 1; SGB X §§ 24, 31 S. 1, § 39 Abs. 2, § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; BFDG § 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.09.2022; Aktenzeichen B 4 AS 60/21 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Klägerin, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen.

Die 1952 geborene Klägerin ist Eigentümerin eines von ihr bewohnten Hausgrundstücks und bezog seit dem Jahr 2007 (im Wesentlichen ergänzende) Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Mit Bescheid vom 7. April 2016 wurden ihr für die Zeit vom 1. Mai 2016 bis 31. August 2016 Leistungen in Höhe von monatlich 408,91 Euro für Mai und Juli 2016 und monatlich 321,11 Euro für Juni und August 2016 vorläufig bewilligt.

Ausweislich einer Auskunft der Deutschen Rentenversicherung - vom 5. Februar 2016 hatte die Klägerin Anspruch auf eine Altersrente für langjährig Versicherte. Laut einer von der Klägerin eingereichten Rentenauskunft erreichte sie die Regelaltersgrenze am 1. September 2017. Für die Zeit vom 1. März 2016 bis zum 28. Februar 2017 hatte die Klägerin eine Stelle beim Bundesfreiwilligendienst mit einer wöchentlichen Dienstzeit von 21,5 Stunden inne. Hierfür erhielt sie ein Taschengeld von monatlich 200,- Euro. Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von monatlich 81,22 Euro wurden von der Einsatzstelle abgeführt.

Mit Bescheid vom 2. Februar 2016 forderte der Beklagte die Klägerin auf, bis zum 19. Februar 2016 einen Antrag auf geminderte Altersrente zu stellen und dies mitzuteilen. Zur Begründung heißt es insbesondere, es seien keine maßgeblichen Gründe ersichtlich, welche gegen die Beantragung der vorrangigen Leistungen sprächen. Die Beantragung der vorzeitigen Rente sei der Klägerin in Abwägung ihrer Interessen mit dem Interesse an wirtschaftlicher und sparsamer Verwendung von Leistungen nach dem SGB Il zumutbar. Eine Ausnahme nach der Unbilligkeitsverordnung liege nicht vor.

Mit Schreiben vom 19. Februar 2016 (Eingang bei der Deutschen Rentenversicherung am 26. Februar 2016) stellte der Beklagte aufgrund des vorangegangenen Bescheides zur Aufforderung zur Altersrentenbeantragung vom 2. Februar 2016 bei der Deutschen Rentenversicherung für die Klägerin einen Antrag auf geminderte Altersrente. Den Antrag wies die Deutsche Rentenversicherung mit Schreiben vom 29. Februar 2016 „als unzulässig“ zurück, weil kein rechtswirksamer Antrag vorliege, hob diese Entscheidung aber auf den Widerspruch des Beklagten mit Bescheid vom 22. April 2016 auf und nahm das Rentenverfahren wieder auf.

Der gegen den Bescheid vom 2. Februar 2016 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2016 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 4. Mai 2016 Klage erhoben.Aufgrund ihres Bundesfreiwilligendienstes sei sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so dass ein Fall von § 4 Unbilligkeitsverordnung vorliege.

Mit einem weiteren Bescheid vom 28. Juni 2016 hat der Beklagte die Klägerin erneut aufgefordert, bis zum 15. Juli 2016 einen Antrag auf geminderte Altersrente zu stellen und dies mitzuteilen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2016 hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin hiergegen zurückgewiesen. Klage und Berufung hiergegen sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. Mai 2018 - S 33 AS 1352/16 - und vom Landessozialg...

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