Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Berufsschadensausgleich wegen der Folgen einer in der DDR erlittenen Strafhaft
Orientierungssatz
1. Nach § 21 Abs. 1 S. 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG.
2. Für eine posttraumatische Belastungsstörung mit Albträumen, physiologischen Reaktionen bei Erinnerung, Vermeidungsverhalten und Panikzuständen ist ein Grad der Schädigung von 30 bis 40 vorgegeben.
3. Die Höhe des GdS ist unter Ansehung des § 30 Abs. 2 BVG wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit um einen Zehnergrad anzuheben, wenn u. a. die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gemindert hat. Hierzu ist der Nachweis erforderlich, dass der Betroffene im konkreten Fall aufgrund seiner schädigungsbedingten psychischen Störung daran gehindert war, die von ihm angestrebte Berufsqualifizierung durchzuführen.
4. Wird der erforderliche Nachweis geführt, so erhält der Betroffene, dessen Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, nach § 30 Abs. 2 und 3 BVG einen Berufsschadensausgleich.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2010 aufgehoben sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 22. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2006 in der Fassung des Bescheides vom 23. Juli 2008 verpflichtet, dem Kläger ab Juni 2000 Versorgungsleistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit und einen Berufsschadensausgleich zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Schädigungsfolgen (GdS - der bis 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] bezeichnet wurde) und die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1938 geborene Kläger schloss in der DDR eine Fleischerlehre ab und war anschließend in diesem Beruf - abgesehen von der sich über ein Jahr erstreckenden Tätigkeit in einem Bergwerk im Ruhrgebiet - beschäftigt. Er plante eine Ausbildung zum Fleischermeister. Weil er seiner Verlobten zur Flucht aus der DDR verhelfen wollte, befand er sich vom 30. November 1963 bis zum 20. September 1966 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Nach der Haftentlassung und Übersiedlung in die Bundesrepublik war er u.a. als Fleischer sowie, teilweise auch selbständig, als Fleischeinkäufer tätig. Später hat er in B einen Marktstand für Fleischwaren betrieben. Von 1999 bis zu seiner Berentung 2003 arbeitete er im Kräutergeschäft seiner Lebensgefährtin.
Von 1968 bis 1976 bezog der Kläger Versorgungsbezüge nach dem Häftlingshilfegesetz in Verbindung mit dem BVG bei einer MdE von 25 v.H. für die Schädigungsfolgen Magenkatarrh, vegetative Labilität sowie Verlust und Beschädigung von Zähnen. Die Leistungen wurden eingestellt, nachdem bei einer Nachuntersuchung festgestellt worden war, dass die MdE nach Abheilung des Magenkatarrhs und der vegetativen Labilität nur noch 0 v.H. betrage.
Das Landgericht B hob im Rehabilitierungsverfahren mit Beschluss vom 29. März 1994 das Strafurteil gegen den Kläger als rechtsstaatswidrig auf und stellte fest, dass der Kläger zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hatte.
Am 26. Juni 2000 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG. Auf der Grundlage der beigezogenen ärztlichen Unterlagen und des Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 12. November 2004 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2006 bei dem Kläger als Folgen einer Schädigung im Sinne des § 21 StrRehaG an:
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1. |
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chronifizierte posttraumatische Belastungsreaktion (Einzel-MdE 25 = 30 v.H.) und |
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2. |
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Verlust des Zahnes oben links 1, Beschädigung des Zahnes oben links 2, unscheinbare Narben Oberlippe, Mundvorhof (Einzel-MdE 0 v.H.) |
Hierbei setzte er die MdE auf 25 = 30 v.H. fest. Die Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit und die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs lehnte der Beklagte ab.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger Versorgungsleistungen nach einem GdS von 50 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit sowie einen Berufsschadensausgleichs begehrt.
Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte das Gutachten des Diplom-Psychologen T L vom 19. November 2007 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass der Kläger ...