Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrauensschutz bei Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes
Orientierungssatz
1. Bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes kann sich derjenige auf Vertrauen nicht berufen, dessen Unkenntnis hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Leistungshöhe auf wenigstens grober Fahrlässigkeit beruht.
2. Verlangt wird eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Ausmaß. Diese liegt dann vor, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden. Dabei ist auf das persönliche Einsichtsvermögen des Betroffenen abzustellen.
3. Grobe Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Empfänger von Arbeitslosenhilfe übersieht, dass die Änderung der Lohnsteuerklasse nicht beachtet worden ist oder dass das ausgewiesene Bemessungsentgelt bei unveränderter Situation in einem deutlichen Missverhältnis zu dem zuvor zugrundegelegten steht.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Januar 2004 abgeändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2003 wird aufgehoben, soweit die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01. Januar bis zum 28. Februar 2002 um mehr als 15,75 € wöchentlich aufgehoben und für das gesamte Jahr 2002 die Erstattung eines 3.509,93 € übersteigenden Betrages geltend gemacht hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger ein Achtel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch um die Rechtmäßigkeit der teilweisen Rücknahme der Bewilligungsbescheide über Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 01. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2002 und eine damit verbundene Rückforderung in Höhe von 4.028,54 €.
Der 1961 geborene Kläger ist gelernter Kfz-Schlosser und arbeitete zuletzt als Wagenpfleger. Nachdem sein Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2000 gekündigt worden war, meldete er sich am 03. August 2000 bei der Beklagten arbeitslos. Er gab in diesem Zusammenhang an, verheiratet und Vater des 1988 geborenen B T zu sein. Die Beklagte gewährte ihm daraufhin - unterbrochen von Leistungen der Krankenversicherung - bis zum 16. September 2001 Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C und dem erhöhten Leistungssatz. Der Berechnung legte sie zuletzt ein wöchentliches Bemessungsentgelt von 680,83 DM zugrunde.
Für die Zeit ab dem 17. September 2001 gewährte die Beklagte dem Kläger mit - nicht bei den Akten befindlichem - Bescheid vom 19. Oktober 2001 Arbeitslosenhilfe nach der Leistungsgruppe C und dem erhöhten Leistungssatz. Ausgehend von einem wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von zunächst 614,17 DM (gerundet 610,00 DM) betrug der wöchentliche Leistungssatz 276,64 DM. Zugleich wies die Beklagte den Kläger, der in seinem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe angegeben hatte, ab Dezember 2000 von seiner Ehefrau dauernd getrennt zu leben, mit Schreiben vom 15. Oktober 2001 darauf hin, dass für die Zuordnung zu einer Leistungsgruppe und damit für die Höhe der Arbeitslosenhilfe die auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Steuerklasse maßgebend und der Kläger verpflichtet sei, für das Jahr 2002 seine Lohnsteuerklasse ändern zu lassen.
Unter dem 07. Januar 2002 vermerkte ein Mitarbeiter der Beklagten in der Leistungsakte: “ Ab 1.1.2002 St. Kl.: I/0,5, Lohnsteuerkarte lag vor.„ Gleichwohl gewährte die Beklagte dem Kläger mit - ebenfalls nicht zu den Akten gelangtem - Änderungsbescheid vom 14. Januar 2002 die Arbeitslosenhilfe ab dem 01. Januar 2002 weiter nach der Leistungsgruppe C und dem erhöhten Leistungssatz. Das Bemessungsentgelt setzte sie nunmehr mit wöchentlich 314,02 € (gerundet 315,00 €) an; der wöchentliche Leistungssatz betrug 142,80 €.
Mit Änderungsbescheid vom 22. März 2002 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 01. März 2002 Arbeitslosenhilfe nach der Leistungsgruppe A und dem erhöhten Leistungssatz. Als wöchentliches Bemessungsentgelt legte sie jedoch 614,17 € (gerundet 615,00 €) zugrunde, sodass sich ein wöchentlicher Zahlbetrag in Höhe von 204,33 € errechnete.
In seinem Fortzahlungsantrag vom August 2002 benannte der Kläger als sein jüngstes Kind den 1999 geborenen P S. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 09. September 2002 ab dem 17. September 2002 Arbeitslosenhilfe unverändert nach der Leistungsgruppe A und dem erhöhten Leistungssatz, wobei sie nunmehr von einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 607,54 € (gerundet 610,00 €) ausging und einen wöchentlichen Leistungssatz von 203,14 € errechnete.
Nachdem bei der Beklagten aufgefallen war, dass die Berechnung der Arbeitslosenhilfe fehlerhaft erfolgt war, hörte sie den Kläger mit Schreiben vom 09. Dezember 2002 zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung an. Der Kläger habe aufgrund der nicht erfolgten Umrechnung ...