Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. behördliche Rehabilitierung. rechtsstaatswidrige Verfolgungsmaßnahme in der DDR. Berufsschadensausgleich. Bemessung des Vergleichseinkommens nach dem gehobenen Dienst. hypothetische Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst des Landes Berlin nach der deutschen Wiedervereinigung. Notwendigkeit der Erfüllung der Laufbahnvoraussetzungen. Übertragung gleichwertiger Aufgaben

 

Orientierungssatz

Für die Bestimmung des Vergleichseinkommens nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 2 in Verbindung mit § 4 Abs 1 Nr 3 der Berufsschadensausgleichsverordnung in alter Fassung (juris: BSchAV) reicht allein die Erwägung, dass der Betroffene ohne die Schädigung nach der Wiedervereinigung weiterhin im öffentlichen Dienst (hier in der Bezirksverwaltung des Landes Berlin) beschäftigt geblieben wäre, nicht aus. Vielmehr kommt es zusätzlich darauf an, ob er in diesem Fall auch die entsprechenden Voraussetzungen für die Laufbahn des gehobenen Dienstes (hier nach § 9 LbG BE in der Fassung vom 16.2.2003) erfüllt hätte oder ihm zumindest entsprechende Aufgaben übertragen worden wären.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 29.12.2015; Aktenzeichen B 9 V 62/15 B)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2014 aufgehoben, soweit darin der Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin einen Berufsschadensausgleich entsprechend einem Vergleichseinkommen gemessen am gehobenen Dienst zu gewähren. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten für das Verfahren in erster Instanz zur Hälfte und für das Berufungsverfahren zu drei Vierteln zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Umfang der der Klägerin durch den Beklagten zu gewährenden Versorgungsleistungen aufgrund der von der Klägerin erlittenen Verfolgungs- und Überwachungsmaßnahmen in der ehemaligen DDR.

Die 1968 geborene Klägerin besuchte in der DDR die allgemeinbildende polytechnische Oberschule und schloss den Schulbesuch mit der 10. Klasse 1984 ab. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung bei einem volkseigenen Betrieb, die sie mit dem Abschluss “Wirtschaftskaufmann„ abschloss. Nach Beendigung der Ausbildung im Oktober 1986 bis zum Februar 1987 arbeitete die Klägerin bei ihrem vormaligen Ausbildungsbetrieb.

Im März 1987 begann die Klägerin eine Tätigkeit beim Rat des Stadtbezirkes B-L. Im Arbeitsvertrag wurde ihre Tätigkeit als “Mitarbeiterin Ferien-Freizeitgestaltung„ bezeichnet. Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde die Klägerin durch die Stadtbezirksrätin aufgefordert, Mitglied der SED zu werden und Kinder auszuhorchen. Infolge ihrer Weigerung, dieser Aufforderung nachzukommen, setzten gegen die Klägerin zunächst an ihrer Arbeitsstelle, später auch im privaten Umfeld, Verfolgungs- und Überwachungsmaßnahmen ein, woraufhin die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann einen Ausreiseantrag stellte. Nach einer Besetzung der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in der DDR durfte die Familie in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen, wo es der Klägerin jedoch nicht gelang, beruflich Fuß zu fassen. 1997 befand sich die Klägerin drei Wochen lang in Untersuchungshaft wegen eines Tatvorwurfes, von dem sie letztlich freigesprochen wurde.

Auf Antrag der Klägerin vom 17. Dezember 2003 stellte das Landesamt für Gesundheit und Soziales mit Bescheid vom 4. Oktober 2005 fest, dass die gegen die Klägerin gerichteten Überwachungsmaßnahmen durch die deutsche Volkspolizei und das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar gewesen seien, und erklärte diese Maßnahmen für rechtsstaatswidrig. Gleichzeitig stellte es fest, dass Ausschließungsgründe gemäß § 2 Abs. 2 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG) nicht vorgelegen hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Rehabilitierungsbescheid Bezug genommen. Auf Antrag der Klägerin vom 23. März 2004 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2007 als Schädigungsfolgen an: 1. Inkomplette posttraumatische Belastungsstörung mit Wiedererinnerungen und Meidungsverhalten, 2. Persönlichkeitsstörung mit dissoziativ-ängstlich-depressiver Symptomatik und, zwar zu 1. hervorgerufen, zu 2. verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 3 VwRehaG. Weiter stellte er fest, die durch die vorstehend aufgeführten Gesundheitsstörungen bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 40 vom Hundert und sei nicht nach § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) höher zu bewerten. Weiter gewährte er der Klägerin eine Versorgungsrente nach einer MdE von 40 vom Hundert ab dem 1. März 2004 und lehnte zugleich die Gewährung eines Berufsschadensausgleiches ab, weil ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht erkennbar sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch, h...

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