Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen EM. ungelernt. türk. Klägerin. Rückbeziehung des Leistungsfalls. Nachweis der Verschlimmerung. Quantitative Leistungsminderung. Übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts. Keine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bei kompensierbaren körperlichen Beeinträchtigungen

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist das Gericht nicht davon überzeugt, das quantitative Leistungsvermögen des Klägers betrage weniger als sechs Stunden pro Tag, scheidet ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI grundsätzlich aus.

 

Orientierungssatz

1. Kann den körperlichen Beeinträchtigungen ausreichend Rechnung getragen werden durch die Beschränkung auf leichte körperliche Arbeiten in geschlossenen Räumen im Wechsel der Haltungsarten, sind sie für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit nicht maßgeblich.

2. Kann ein Versicherter vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten, wenn auch nur mit bestimmten Einschränkungen, ausüben, ist zumindest die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt.

3. Berufslose / Ungelernte haben keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach SGB 6 § 240.

 

Normenkette

SGB VI §§ 43, 240

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet 3/8 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten des Rechtsstreites, einschließlich des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die 1946 in der Türkei geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war nach der Übersiedelung in die Bundesrepublik unter anderem als Fabrikarbeiterin und zuletzt als Rundhalskettlerin beschäftigt. Das letzte Beschäftigungsverhältnis endete aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers Ende September 2001. Seither ist die Klägerin arbeitslos. Sie verfügt bereits seit dem 29. August 1994 über eine Anerkennung als Schwerbehinderte (Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 07. April 1995), derzeit ist bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie das Merkzeichen “G„ - erhebliche Gehbehinderung - festgestellt (Bescheid vom 18. Januar 2010).

Seit dem 01. August 2007 erhält sie Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschläge unter Zugrundelegung von 28,1021 Entgeltpunkten (EP).

Die Klägerin stellte am 28. Juli 2003 einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Dem Antrag wurden unter anderem Atteste des behandelnden Orthopäden Dr. M vom 15. September 2003 sowie der Neurologin und Psychiaterin Dr. P vom selben Tag (anhaltende somatoforme Schmerzstörung, depressiv-neurasthenisches Syndrom) beigefügt. Die Beklagte ließ die Klägerin durch die Arbeitsmedizinerin Dr. B untersuchen und begutachten. Diese kam in ihrem Gutachten vom 24. September 2003 zu dem Ergebnis, die Klägerin leide an Bluthochdruck, Wirbelsäulensyndrom, Gonarthrose, Acromioclaviculargelenksarthrose rechts, Somatisierungsstörung und Übergewicht. Sie könne täglich sechs Stunden und mehr körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen ausüben. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 16. Oktober 2003 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2004).

Ihre dagegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobene Klage hat die Klägerin vorrangig damit begründet, ihre psychischen Beschwerden seien nicht in ausreichender Weise gewürdigt worden. Sie hat zahlreiche Befunde (unter anderem eine Doppler- und Duplex-Sonografie der extrakraniellen Hirngefäße sowie eine transkranielle Dopplersonografie vom 09. Februar 2004 und ein Mehrphasenskelettszintigramm vom 20. Juli 2004), den Reha-Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik L vom 20. September 2004 (Diagnosen: somatoforme Schmerzstörung, depressiv-neurasthenisches Syndrom, chronisches HWS-Syndrom mit muskulären Dysbalancen, CTS links, chronisches LWS-Syndrom bei statisch muskulärer Insuffizienz, sensibles L4- und L5-Syndrom links, essentielle Hypertonie) und Atteste der behandelnden Ärzte Frau Dr. P vom 11. März 2004 und 09. August 2004, der Internistin Dr. F-L vom 18. August 2004 und der Orthopädin Dr. D vom 26. Mai 2004 vorgelegt.

Das SG hat zunächst Gutachten und Berichte des MDK Berlin-Brandenburg vom 07. Juli 2003, 25. Juni 2003, 13. November 2003, 19. Juli 2000, 13. Dezember 2000, 21. Oktober 2003 und 02. Februar 2004 beigezogen sowie Befundberichte von der Internistin Dr. R vom 22. Oktober 2004, Frau Dr. P vom 20. Oktober 2004 (Somatisierungsstörung, rezidivierende depressive Episoden, cerebrovaskuläre Insuffizienz), Dr. M vom 02. November 2004 sowie Frau Dr. F-L vom 27. Oktober 2004 eingeholt.

Anschließend hat das SG Beweis ...

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