Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Herabsetzung. Neufeststellung nach Heilungsbewährung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Brustkrebs. Teilverlust beider Brüste. Berücksichtigung von negativen Begleiterscheinungen. Restless-Legs-Syndrom. nachträgliche Unaufklärbarkeit. unterlassene Untersuchung in Bezug auf die konkreten Auswirkungen des RLS. Beweislast der Behörde. Anfechtungsklage. sozialgerichtliches Verfahren

 

Orientierungssatz

1. Der vorgesehene Bewertungsrahmen für eine Brustentfernung nach Teil B Nr 14.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) ist im Hinblick auf die Vorgaben in Teil B Nr 1 Buchst c VMG auszuschöpfen, wenn es zusätzlich zu Wundheilungsstörungen und Narbenbildungen mit einhergehenden Schmerzen durch diverse Nachoperationen gekommen ist.

2. Das sog Restless-Legs-Syndrom (RLS) hat als Funktionsbeeinträchtigung, welche nicht ausdrücklich mit einem eigenen Bewertungsrahmen in den VMG versehen worden ist, eine analoge Bewertung zu erfahren, die sich anhand der konkreten Auswirkungen und Erscheinungsformen des RLS an der Bewertung von Hirnschäden mit isoliert vorkommenden Syndromen gem Teil B Nr 3.1.2 VMG bzw der Bewertung des Schlaf-Apnoe-Syndroms nach Teil B Nr 8.7 VMG auszurichten hat (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 15.1.2015 - L 13 SB 52/11 und vom 20.12.2018 - L 13 SB 303/16).

3. In einem GdB-Absenkungsverfahren ist für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen die die Absenkung vornehmende Behörde materiell beweisbelastet. Dementsprechend wirkt sich die Unaufklärbarkeit der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu Lasten der die Absenkung vornehmenden Behörde aus. Dies gilt jedenfalls, wenn unter Zugrundelegung der feststehenden Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt und der sich aus ihnen ergebenden GdB-Bewertung bei Hinzutreten der nicht mehr aufklärbaren Aspekte im rechtserheblichen Zeitpunkt ein Erfolg des Anfechtungsbegehrens nicht vernünftigerweise ausgeschlossen werden kann (hier: nachträgliche Unaufklärbarkeit der Verhältnisse aufgrund einer von der Behörde unterlassenen Untersuchung).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 11. April 2018 und der Bescheid des Beklagten vom 17. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2017 aufgehoben.

Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 0000.00.00 geborene Klägerin wehrt sich gegen die Absenkung des bei ihr festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 30.

Bei der Klägerin wurde eine Krebserkrankung der linken Brust im August 2010 operativ brusterhaltend behandelt, wobei an der linken Brust eine Aufbauplastik mit körpereigenem Fettgewebe und an der rechten Brust eine angleichende Reduktionsplastik vorgenommen wurde. Postoperativ wurde bei der Klägerin eine Strahlentherapie durchgeführt. Postoperativ aufgetretene Wundheilungsstörungen machten mehrere Nachoperationen nötig, zuletzt im Dezember 2016. Auf Antrag der Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2011 bei ihr einen GdB von 50 festgestellt und dem die Brustdrüsenerkrankung links in Heilungsbewährung zugrunde gelegt. Im Zuge des Überprüfungsverfahrens Ende 2015 zog der Beklagte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte und Berichte über die Krankenhausaufenthalte der Klägerin bei und setzte mit Bescheid vom 17. Juni 2016 bei der Klägerin mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheides den GdB von 50 auf 20 herab. Hierbei ging er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus, die er verwaltungsintern mit dem jeweils genannten Einzel-GdB bewertete:

- Teilverlust beider Brüste (10),

- Restless-Legs-Syndrom RLS (10),

- Sehbehinderung (15) sowie

- Funktionsstörung des rechten Schultergelenkes (10).

Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe infolge mehrerer Nachoperationen an der Brust schmerzhafte Verhärtungen und Vernarbungen erlitten und sei hierdurch stark beeinträchtigt. Darüber hinaus seien Arthrosen in allen Gelenken vorhanden und sie könne nur unter Schmerzen lange stehen und gehen. Sie benötige regelmäßig wöchentlich Lymphdrainagen. Daraufhin holte der Beklagte erneut Befundberichte ein und zog auch Berichte über weitere stationäre Behandlungen der Klägerin im Jahr 2016 bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2017 änderte der Beklagte seinen Bescheid vom 17. Juni 2016 dahingehend, dass die Absenkung mit Wirkung ab dem 21. Juni 2016 nicht auf einen GdB von 20, sondern auf einen GdB von 30 erfolgte. Hierbei ging er von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen unter verwaltungsinterner Zugrundelegung des jeweils genannten Einzel-GdB aus:

- RLS (10),

- Sehbehinderung (20),

- Teilverlust beider Brüste (20),

- Lymphödem des linken Armes (10) sowie

- Funktionsstörung des rechten Schultergelenks (10).

Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der ...

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